Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Uferwald

Titel: Uferwald
Autoren: Ulrich Ritzel
Vom Netzwerk:
Vorstellung, und wenn du einmal New York gesehen hast, dann lässt du keine andere Stadt mehr gelten...
    »Es gibt nur eine Stadt, von der du das behaupten kannst: das ist Paris«, sage ich, und Luzie sagt, dass ich ihres Wissens noch gar nie dort gewesen bin, weder in New York noch in Paris, und erzählt weiter von den kalifornischen Stränden, und ich streite mich nicht mit ihr, weil das sowieso keinen Sinn hat, sondern bewundere ihre Nase, auf der sich die Haut vom Sonnenbrand schält. Wie hat der Schleicher das eigentlich ausgehalten?
    »Oh, das glaubst du nicht, wie brav der sich eingecremt hat«, sagt sie, »rührend, wie ein kleiner Junge, der es von Mama eingetrichtert bekommen hat.«
    Ich stelle mir Schleicher vor, wie er mit der emsigen Umsicht eines Waschbären seine Epidermis salbt, aber dann muss ich pinkeln, und als ich zurückkomme, hat Luzie diesen Blindband in der Hand und blättert ihn durch, die Oberlippe leicht hochgezogen, so dass die Pferdezähne freiliegen. Es ergibt sich folgender Dialog, auch wenn ich nicht glaube, dass wir das alles so gesagt haben, wie ich es hier aufschreibe, aber da ich ein bisschen Spaß haben will, erinnere ich mich eben so, wie ich es aufschreiben mag.
    Luzie: »Deine gesammelten Werke, wie? Lauter leere Seiten.«
    T: »Es ist ein Blindband. Ein Muster für Papierqualität und Einband. Ich hab’s mir mitgenommen. Für Vorlesungen und so.«
    L: »Für eine Mitschrift ist das aber nicht sehr praktisch. Was hätte denn das für ein Buch werden sollen?«
    T: »Ein philosophisches. Da hatte einer herausgefunden, wie die Welt sich dreht und warum es uns gibt und wozu das gut ist...«
    L: »Und wozu ist es gut?«
    T: »Ich weiß es nicht. Das Buch ist nie erschienen. Bevor es in Druck gehen sollte, kam der Autor nach Schussenried, in die Klapsmühle.«
    L (sachlich, leicht beleidigt): »Das hast du jetzt wieder erfunden. Aber bitte. Und was machst du wirklich damit?«
    T: »Im Sommer habe ich eine Geschichte gelesen, von der der Erzähler behauptet, er schreibe sie um seines Vergnügens willen auf, stell dir das mal vor! Das ist ein Satz, den heute keiner mehr schreiben könnte, schon deswegen nicht, weil keiner mehr weiß, was das ist: ein Vergnügen... Ey du! Is’ das so was wie Fun?«
    L: »Schon gut, so schwer von Begriff bin ich auch wieder nicht. Aber sag mal – warum kannst du eigentlich nicht normal wichsen wie andere auch?«
    So ist Luzie, und so redet sie. Wir fahren dann ins Kino, in Luzies neuem Wagen, einem blauen Mini Cooper mit roten Rallye-Streifen, sie hat ihn von ihren Großeltern bekommen, zum glücklichen Abschluss ihres Grundstudiums an der Verwaltungshochschule, mein Gott! Was legen sich die Leute für Autos zu, von den Berufen ganz zu schweigen. Außerdem ist es nicht ganz einfach, mit Luzie irgendwohin zu gehen, weil sich ständig irgendwelche Typen nach ihr umdrehen. Ihr schmeichelt das, aber mir, der ich neben ihr hertrotten muss, ist es lästig. Sie hat eine blonde Mähne, die ihr fast bis auf den Hintern hängt, aber außerdem den Ansatz zu einem Speckgürtel, ziemlich hoch an den Hüften, der beim Gehen den Eindruck erweckt, die ganze Masse könne ganz schnell ins Schlingern geraten. Ich nehme an, die Typen sehen ihr mit einer gewissen Beunruhigung nach, als überlegten sie, wo man da welche Schrauben anziehen müsste, damit die Unwucht behoben ist.
    Im Kino gibt es einen lustigen Neuen Deutschen Film über lustige Neue Deutsche Männer mit Haargel-Frisuren, danach in den Glucks- Kasten, wo nur der Bilch sitzt, der aber auch kein wirklich lustiger Neuer Deutscher Mann ist, sondern Kaffee mit Kognak trinkt, weil das, wie er erklärt, die am meisten weltmännische Art ist, nicht betrunken zu werden. Außerdem teilt er uns mit, dass er demnächst dank irgendwelcher Optionen auf schwedische Elektronik-Aktien zehn Riesen einfahren wird, er hat sie praktisch schon in der Tasche und will sie alsbald erstklassig auf den Kopf hauen, und zwar in London: »Bisschen in der Börse rumschnüffeln, gucken, wie die Jungs da ihren Faden abspulen, vielleicht auch ein paar Connections knüpfen, und am Abend nach Covent Garden, ein feines altes Händel-Oratorium reinziehen...«
    Luzie hört ihm zu, und ich betrachte ihr Gesicht und ihre Augen, aufgerissen und groß wie Scheunentore. Täusche ich mich, oder ist die ironische Bewunderung ein wenig zu dick aufgetragen, so, als gäbe es da einen Kernbestand, der nicht ironisch ist? Sollte sich Schleicher vielleicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher