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Uferwald

Titel: Uferwald
Autoren: Ulrich Ritzel
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und zwei Kugelschreiber, einen mit roter und den anderen mit blauer Mine, und Luzie schaut ihm andächtig beim Unterstreichen zu. Der Bilch ist also wohl doch nicht näher in Betracht gezogen worden.
    »Warum unterstreichst du nicht einfach bloß die Sätze, die du nicht unterstreichen willst?«, frage ich ihn, »dann hast du weniger Arbeit.« Aber Schleicher will dem nicht näher treten, auch treffen ein der Bilch und wenig später Isolde und Juffy, so dass Schleicher etwas widerwillig das Unterstreichen sein lässt und das Gespräch sich alsbald Luzies neuem Cooper zuwendet, dessen Rallye-Streifen aber so was von vorgestern sind, wie der Bilch vorträgt, fast so, wie wenn eine Schnepfe von ihrem Lover sagt, er sei ihr Lebensabschnittsgefährte, von all den anderen Dingen ganz abgesehen, die zu diesem Ding zu sagen wären, denn ein Auto könne man es ja wohl nicht nennen, und was Luzie sich überhaupt denke? Was würden denn die Wähler in Schnürpflingen sagen, wenn sie dort Bürgermeisterin werden wolle und mit einem entlaufenen Autoscooter vorfahre? Luzie sagt nichts, fragt aber irgendwann beiläufig, wie es denn den schwedischen Elektronik-Aktien geht, und der Bilch zieht die Mundwinkel herunter und sagt:
    »Ein kleiner Schwächeanfall, eigentlich nur eine Kursbereinigung nach unten, hat nichts zu bedeuten...«
    Dann kommt Puck, die freitags sonst nicht kellnert, und Schleicher bestellt eine Apfelsaftschorle, und Juffy sagt, dass Rallyestreifen zwar schon ziemlich übel seien, aber Apfelsaftschorle! Es gebe wohl keine schlimmere Pansche als dieses Schulausflugsgetränk, womöglich noch aus biodynamisch-ökologischem Anbau, und Schleicher antwortet doch tatsächlich, er wolle heute Nacht noch eine Doktorarbeit aus den sechziger Jahren exzerpieren, und wir anderen sehen uns an. Er brauche es für seine Diplomarbeit, fügt Schleicher hinzu und schaut sich um und bleibt mit seinem Blick ausgerechnet an mir hängen und sagt:
    »Ich hab nicht so viel Zeit wie manche andere Leute hier...«
    Ich sage, dass das eine lustige Art sei, Zensuren zu verteilen, was mich aber nicht besonders überrasche, weil ich Schleicher immer für den gehalten habe, der sich als erster in eine sichere bürgerliche Existenz begeben werde, und zwar im Schweinsgalopp in die eines Schulmeisters.
    Er lacht nur, aber Luzie schaut mich an und sagt:
    »Da gibt es Sachen, da darf man dich nicht danach fragen, was?«
     
    Samstag, 24. Oktober
    Frühstück zu Hause, die Alte Frau ist nervös, wuselt herum, schaut mich an, was hat sie nur? Dann muss sie plötzlich aufstehen und etwas holen, es ist eine Art Freizeitjacke, grün, aus einem Stoff, der so aussieht, als ob er wie Wildleder aussehen soll.
    »Ich weiß, dass ich das nicht soll... aber eine kleine Freude muss ich dir doch machen dürfen... Wo du doch die ganze Zeit so hart arbeiten musst.«
    Ich mache dann den Fehler und zieh das Ding an, aus Gutmütigkeit, und bin damit in den GlucksKasten, aus Dummheit, wo der Bilch hockt. Wie er mich sieht, ist er plötzlich hellwach:
    »Was hast’n da? Aus dem Secondhand-Shop von Karstadt, ja?« Er schaut mich an, zupft am Stoff und gibt keine Ruhe. »Nett, wirklich. Ossis haben so was getragen, bis vor zwei oder drei Jahren, aber in Grün?« Schließlich bückt er sich, hebt eine Plastiktüte hoch und holt eine Jacke heraus, es ist eine Jacke aus richtigem Leder, und sie wird zehn Mal so viel gekostet haben wie dieses grüne Jöppchen hier.
    »Kannste haben«, sagt der Bilch, »für einen Fünfziger. Praktisch neuwertig. Praktisch umsonst. Nur dass du nicht sagen musst, ich hätt dir ne Jacke geschenkt.«
    Ich sage ihm, dass er sich seine Jacke sonst wo hinstecken soll, und gehe. Ich will ins »Wichtig«, treffe aber unterwegs die Puck, die heute nicht zum Kellnern eingeteilt ist und mich fragt, ob ich zufälligerweise und gegen alle Wahrscheinlichkeit ein Auto zur Verfügung habe und sie ins Kleine Lautertal fahren könne, wo sie sich in einer Kneipe vorstellen will. Ich schaue sie nur an, und sie lacht, und wir gehen im »1 7a« einen Kaffee trinken...
    P: »Wo kommst du heute her?«
    T: »Vom GlucksKasten.«
    P: » War der Bilch da?«
    T (unfröhlich): »Ja.«
    P: »Hat er dir die Jacke verkaufen wollen?«
    Schließlich erzählt sie mir die Geschichte, aber ich hätte es mir eigentlich denken können. Bilch war mit einer Frau und mit der Lederjacke vor ein paar Tagen im Jazzkeller, die beiden hatten sich aber in die Besenkammer verirrt, wo es dann auf
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