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Ufer von Morgen

Ufer von Morgen

Titel: Ufer von Morgen
Autoren: Robert Silverberg
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wolle er durch die Betonung dieses einzigen körperlichen Unterschiedes darauf hinweisen, daß sie nicht von der Erde sei.
    »Es ist Essenszeit«, sagte sie nach einer Weile.
    Sie gingen Arm in Arm zum Tisch, auf dem Marya die Speisen im Kreis des vierten Tages angeordnet hatte. Delaunay ließ sich von ihr den Stuhl zurechtrücken und setzte sich. Sie blieb stehen, weil es der vierte Tag war.
    »Demet ist in Trauer«, sagte er und nahm eine Brotfrucht. »Ich war eben bei der Feier. Die Krozni haben Tsalto bei ihrem letzten Überfall erwischt.«
    Marya senkte den Kopf. »Demets Sohn ist tot?«
    »Ja«, sagte Delaunay. Beinahe hätte er hinzugefügt: es ist Demets eigene Schuld, weil er die Krozni hergebracht hat. Er sagte es jedoch nicht.
    »Die Welt ist kalt«, meinte Marya. »Wenn man bedenkt, daß der Mann, der sie gerettet hat, der sie hergebracht hat, ihnen das Leben seines einzigen Sohnes geben muß –«
    »Die Strafe, vielleicht«, sagte Delaunay.
    »Nein. Es macht mich traurig, wenn du so sprichst. Wir konnten nicht wissen, was für Wesen die Krozni sind. Wir wußten nur, daß ihre Welt gefährdet war, und Demet blieb nichts anderes übrig, als sie zu retten.«
    Sie aßen schweigend. Delaunay ging seine Gedanken wieder und wieder durch und versuchte, keine Worte zu gebrauchen, die das erdgeborene Gift in seinem Geist an die Oberfläche bringen konnten. Die Erde war ein haßerfüllter Planet, ein Planet des Hasses und der Hasser. Er hatte die Erde jedoch verlassen, und sein größter Wunsch war, Marya vor dem ganzen Haß der Erde zu bewahren.
    Trotzdem war dumpfer, bitterer Ärger in ihm. Vor fünfzig Jahren war Demet der Erste unter den Sallat gewesen, und als man entdeckte, daß der Nachbarplanet der Krozni in einer kosmischen Katastrophe zerstört werden würde, war es Demet gewesen, der die Rettung der vierschrötigen, häßlichen, grauhäutigen Krozni geleitet und sie hierher gebracht hatte.
    Zunächst waren die Krozni wie Tiere dankbar gewesen, die man aus tödlicher Gefahr rettet. Ihre Dankbarkeit hatte aber nicht lange vorgehalten. Sie hatten sich auf dem Land festgesetzt, das ihnen die Sallat gegeben hatten, waren stärker geworden, waren letztes Jahr unglaublich wild geworden und hatten begonnen, in das Gebiet der Sallat einzufallen.
    Es ist eine ziemliche Ironie, dachte sich Delaunay, daß der Sohn des Mannes, der die Krozni hergebracht hat, als einer der ersten fiel. Wenn Demet nicht so edelmütig gewesen wäre und die Krozni hätte untergehen lassen, als ihre Welt zerfiel, würden die Sallat jetzt nicht bedroht sein.
    Plötzlich schob er seinen Stuhl zurück und verließ den Tisch. Er starrte aus dem Fenster auf die hügelige Landschaft.
    »Verzeih mir«, sagte er laut.
    »Weshalb?« fragte Marya.
    Er spürte, wie ein Muskel dicht am Ohr unkontrollierbar zu zucken begann. »Ich bin immer noch ein Erdmensch«, sagte er. »Du solltest mich verlassen.«
    Sie streichelte seinen Arm und drückte seine Schulter. »Nein.«
    »Ich hasse immer noch«, sagte er. »Ich dachte, es sei gut für Demet, daß sein Sohn gestorben ist, weil Demet die Krozni hergebracht hat. Das ist aber doch sinnlos, nicht wahr? Ich bin wütend auf Demet, daß er etwas nach Art der Sallat und nicht nach Art der Erdmenschen getan hat.«
    »Du bist müde«, erwiderte Marya still. »Ruh dich doch aus.«
    »Nein«, widersprach Delaunay. »Ich möchte nachdenken.«
    Sie ging, um ihn in seiner schlechten Laune allein zu lassen, und er verstand, daß er mit ihr verglichen nichts als ein launischer Halbwüchsiger war, der sich in endlosen Selbstvorwürfen zerfleischte.
    Warum war er auf der Erde und nicht auf Sallat geboren worden?
    Er spürte, wie sein Zorn zunahm, nicht mehr ein Zorn auf den armen, alten Demet, sondern ein Zorn auf die Erde, auf sich selbst und vor allem auf die Krozni, und er fragte sich, wie lästig Marya dieser Zorn wohl war. Sie war so jung und zugleich so alt.
    Der Wut auf die Krozni konnte er sich nicht widersetzen. Sie zerstörten eifrig die einzige Gesellschaft, die er für wertvoll angesehen hatte. Misch dich nicht ein, warnte ihn eine innere Stimme, aber er hörte nicht auf sie.
    »Was hast du für ein Gefühl, wenn du an die Krozni denkst?« fragte er Marya, als diese zurückgekehrt war.
    »Ich bin sehr traurig. Ich bin unglücklich, daß sie uns bedrohen und Menschen töten.«
    »Da haben wir es«, erklärte er wild. »Du bist unglücklich, das ist alles. Ich hasse sie jedoch! Ich hasse sie für das, was sie
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