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Ufer von Morgen

Ufer von Morgen

Titel: Ufer von Morgen
Autoren: Robert Silverberg
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recht.«
    Merrill stand auf und sammelte seine Papiere ein, fuhr sich durchs Haar und wischte sich das Gesicht ab. St. Leger sagte nachdenklich: »Ich wurde 1985 geboren, mitten in den Jahren des Alptraums. Vereinte Nationen – das waren nichts als Silben ohne jede Bedeutung. Aber ich habe lange genug gelebt, um zu sehen, wie sie Bedeutung gewannen. Wann sind Sie geboren, Dane?«
    »2014.«
    »Fünf Jahre nach dem Vertrag. Dann wissen Sie eigentlich gar nicht, was ein Konflikt zwischen Nationen bedeuten kann.«
    »Ich habe dieses Jahr ein bißchen davon gesehen«, sagte Merrill.
    St. Leger nickte. »Ja, das haben Sie. Aber wir haben ihn erstickt, bevor er ernst wurde. Und jetzt Mars und Venus.« Der alte Mann lächelte. »Dane, ich war der erste Generalsekretär der richtigen Vereinten Nationen. Sie werden sich als Generalsekretär der Vereinten Welten wiederfinden.«
    »Das hoffe ich. Ich hoffe, daß alles gut wird.«
    »Das wird es«, erklärte St. Leger. »Je älter ich werde, desto mehr glaube ich, daß es eine Art Kraft im Universum gibt, die dafür sorgt, daß schließlich alles seine Richtigkeit hat. Sie werden natürlich Ihre Probleme bekommen. Aber Sie sind fähig, mit ihnen fertig zu werden, Dane. Das weiß ich.«
    Der alte Mann lehnte sich zurück und schloß die Augen, nicht mehr der Generalsekretär der Vereinten Nationen, sondern einfach ein müder, dicker, alter Mann, der in der vergangenen Stunde ein bißchen zu tief ins Glas geschaut hatte. Dane Merrill lächelte. Sie schüttelten sich vielleicht zum letzten Mal die Hände. Dann erhob sich der abtretende Generalsekretär und begann, seinen Schreibtisch auszuräumen, während der zukünftige Generalsekretär nach Hause fuhr, um den letzten Urlaub anzutreten, den es für einige Zeit wohl für ihn geben würde.

Die letzte Herausforderung
    Kaum hatte Delaunay gehört, daß Tsalto tot war, ging er zum Vater des toten jungen Mannes, um auf traditionelle, rituelle Weise sein Beileid zu bezeigen. Als er sich dem Haus näherte, sah er, wie sich die lange Reihe der trauernden Sallat langsam an dem alten Mann mit den bitteren Augen vorbeibewegte. Man beugte die Knie, berührte mit den Fingern sanft die Schläfen und streute eine Prise Salz auf den größer werdenden Haufen, der vor dem Alten lag.
    Delaunay hatte das grüne Trauertuch der Sallat angelegt und schloß sich der Reihe an. Als er vor dem alten Mann stand, blickte er ihm tief in die traurigen, sanften alten Augen. Der arme Tsalto, dachte sich Delaunay.
    Er wandte sich um und ging die stille Straße hinab zu seiner Wohnung und dachte dabei an Tsalto, der irgendwo in der Nähe der Grenze zu den Krozni auf einem einsamen Berg lag. Er fragte sich, wie sich der alte Demet jetzt wohl fühlte, nachdem die Krozni seinen Sohn getötet hatten.
    Vor der buntbemalten Tür seine Wohnung blieb er stehen und lauschte auf die Klänge, die von Marya kamen, die drinnen eifrig an der Arbeit war und den Segen für das Abendessen zelebrierte. Einen Augenblick lang vergaß er den toten Tsalto und Demet mit den traurigen Augen. Er hatte kurz das knochige, ungepflegte Mädchen vor seinem geistigen Auge, das ihm das Haus geführt hatte, bevor er endgültig mit der Erde gebrochen hatte. Er sah sie, wie sie mechanisch Fleisch in einen Zerkleinerer steckte, und verglich ihr mürrisches Gesicht mit Maryas fröhlichem Ausdruck.
    Er stieß die Tür auf, zog die Schuhe aus, streifte die Füße auf einer kleinen Matte ab und trat ein. Marya rannte kichernd vor Entzücken zur Tür und küßte ihn. Als er ihre Wärme spürte, stieg ein wohliges Gefühl in ihm auf. Dann stieß er sie jedoch fort und machte die förmliche Begrüßungsgeste mit der linken Hand.
    »Tut mir leid«, sagte sie und erwiderte die Geste. »Ich vergaß, daß du es nicht magst.«
    Delaunay schüttelte den Kopf und ließ sich auf seinen Stuhl sinken. Nein, er mochte es nicht. Das Küssen gehörte zur Erde. Wenn ihn Marya hier küßte, war das wie eine Karikatur der reinen, schönen Liebesformen der Sallat.
    Er zog sie an sich und streichelte sanft ihre Hände. Er schämte sich ein wenig, daß er so schroff gewesen war. Er begriff, daß ihm Marya nur ihre Liebe in der Art der Erdmädchen hatte zeigen wollen, weil sie meinte, es würde ihm gefallen. Sie hatte noch nicht verstanden, daß Küsse die gegenteilige Wirkung bei ihm auslösten. Sie erinnerten ihn an den Planeten, den er voller Widerwillen verlassen hatte.
    Er liebkoste ihre sechs schlanken Finger, als
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