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Überflieger - Warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht

Titel: Überflieger - Warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht
Autoren: Malcolm Gladwell
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einfach auf dem Markt eine neue Ladung. Für
     sie stellte es keinerlei Widerspruch dar, die Kinder zu lieben, die sie mit einer Sklavin hatten, und gleichzeitig ihre übrigen
     Sklaven als Besitzgegenstände anzusehen. William Thistlewood, der Plantagenbesitzer, der seine sexuellen Abenteuer schriftlich
     festhielt, hatte Zeit seines Aufenthalts in Jamaika eine Beziehung mit einer Sklavin namens Phibbah, die er allen Berichten
     zufolge liebte und die ihm einen Sohn schenkte. Doch seinen Feldsklaven gegenüber verhielt er sich unmenschlich. Für entlaufene
     Sklaven hatte er eine Strafe erfunden, die er »Derbys Dosis« nannte. Der Sklave wurde geschlagen |248| , dann wurden ihm Salz, Zitronensaft und Pfeffer in die offenen Wunden gerieben. Ein anderer Sklave musste ihm in den Mund
     koten, danach wurde er vier bis fünf Stunden lang geknebelt.
    Kein Wunder also, dass die farbigen Klassen Jamaikas ihre Hellhäutigkeit zum Fetisch stilisierten. Sie war ihr entscheidender
     Vorteil. Daher unterschieden sie peinlich genau zwischen feinsten Hautschattierungen und spielten das Farbenspiel mindestens
     ebenso schonungslos wie die Weißen. Der jamaikanische Soziologe Fernando Henriques beschrieb dies so:
    Wenn, wie es so oft der Fall ist, die Kinder einer Familie unterschiedlicher Hautfarbe sind, werden die hellsten auf Kosten
     der dunkleren bevorzugt behandelt. In der Kindheit bis hin zur Eheschließung werden die dunkleren Kinder versteckt, wenn Freunde
     der hellhäutigen oder hellhäutigeren Familienmitglieder zu Gast sind. Das hellhäutige Kind hebt den Farbstatus der Familie,
     und es darf nichts getan werden, das seinen Erfolg – also eine Heirat, die den Farbstatus der Familie weiter hebt – behindern
     könnte. Eine hellhäutige Person versucht beispielsweise, die gesellschaftlichen Beziehungen zu dunkelhäutigeren Verwandten
     abzubrechen … und die dunkleren Angehörigen einer schwarzen Familie unterstützen die Anstrengungen eines sehr hellhäutigen
     Familienmitglieds, als weiß durchzugehen. Diese innerfamiliären Praktiken legen den Grundstein für die gesellschaftliche Rassendiskriminierung.
    Auch meine Familie war nicht gegen diese Vorurteile gefeit. Daisy war über Gebühr stolz darauf, dass ihr Mann hellere Haut
     hatte als sie. Dieses Vorurteil wurde natürlich auch gegen sie verwendet: »Daisy ist nett«, sagte ihre Schwiegermutter. »Aber
     sie ist zu dunkel.«
    Für eine der Verwandten meiner Mutter (nennen wir sie Tante Joan) war Hautfarbe ebenfalls ein großes Thema. Sie war »weiß
     und hell«, ihr Mann hatte dagegen dunkle Haut und glattes und feines schwarzes Haar und war das, was man auf Jamaika einen
     »Indianer« nennt. Die Töchter der beiden kamen dem Vater nach und waren dunkelhäutig. Eines Tages, kurz nach dem Tod ihres |249| Mannes, fuhr Tante Joan mit dem Zug, um ihre Tochter zu besuchen. In ihrem Abteil lernte sie einen hellhäutigen Herrn kennen,
     der ihr gut gefiel. Jahre später und noch immer voller Scham erzählte Tante Joan meiner Mutter, was dann passierte: Als sie
     aus dem Zug ausstieg, ging sie grußlos an ihrer Tochter vorüber und verleugnete ihr eigen Fleisch und Blut, weil sie nicht
     wollte, dass ein derart hellhäutiger und begehrenswerter Mann erfuhr, dass sie eine so dunkelhäutige Tochter hatte.
    In den Sechzigerjahren veröffentlichte meine Mutter ein Buch mit dem Titel
Brown Face, Big Master
, in dem sie ihre Erfahrungen beschrieb. »Brown Face« ist sie selbst, und »Big Master« meint im jamaikanischen Englisch Gott.
     In einem Kapitel beschreibt sie, wie sie kurz nach ihrer Heirat mit meinem Vater und meinem ältesten Bruder, der damals noch
     ein Baby war, in London lebte. Die junge Familie war lange auf der Suche nach einer Wohnung, bis mein Vater schließlich in
     einem Londoner Vorort fündig wurde. Doch als sie einziehen wollten, schlug ihnen die Vermieterin die Tür vor der Nase zu.
     »Sie haben mir nicht gesagt, dass Ihre Frau Jamaikanerin ist«, rief sie zornig.
    In ihrem Buch beschreibt meine Mutter ihren Versuch, diese Erniedrigung zu verstehen und mit ihrem Glauben in Einklang zu
     bringen. Schließlich musste sie anerkennen, dass sie mit ihrem Zorn nicht weiterkam und dass sie als farbige Jamaikanerin,
     deren Familie über Generationen hinweg von der Rassenhierarchie profitiert hatte, kaum einen Grund hatte, die Vermieterin
     dafür zu kritisieren, dass sie andere Menschen nach ihrer Hautfarbe beurteilte:
    Ich klagte Gott mein Leid: »Sieh
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