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Überflieger - Warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht

Titel: Überflieger - Warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht
Autoren: Malcolm Gladwell
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in der Gegend um Foggia gesprochen wurde. Neu-Roseto
     in Pennsylvania war eine eigene kleine Welt und existierte in weitgehender Abgeschiedenheit vom Rest der amerikanischen Gesellschaft.
     Dies hätte sich auch kaum geändert, wenn da nicht ein Mann namens Stewart Wolf gewesen wäre.
    Wolf war Arzt mit Spezialgebiet Verdauung und unterrichtete Medizin an der University of Oklahoma. Seine Sommerferien verbrachte
     er auf einem Bauernhof in Pennsylvania, ganz in der Nähe von Roseto. Das hat allerdings nicht allzu viel zu sagen, denn der |12| italienische Ort war derart isoliert vom Rest der Welt, dass man in der Nachbargemeinde leben und trotzdem nichts über Roseto
     wissen konnte. »In den Sommerferien – es muss Ende der Fünfzigerjahre gewesen sein – bin ich einmal von einer Ärztevereinigung
     aus dem Bezirk zu einem Vortrag eingeladen worden«, erinnerte sich Wolf Jahre später in einem Interview. »Nach dem Vortrag
     hat mich einer der Ärzte zum Essen eingeladen. Bei einem Glas Bier hat er mir erzählt, ›Ich praktiziere seit 17 Jahren in
     dieser Gegend. Meine Patienten kommen aus der ganzen Region, aber in Roseto habe ich kaum jemanden unter 65 mit einer Herzerkrankung.‹«
    Wolf war überrascht. Man schrieb die Fünfzigerjahre, cholesterinsenkende Mittel und Vorbeugungsmaßnahmen gegen Herzerkrankungen
     waren weit und breit noch nicht in Sicht. In den Vereinigten Staaten waren Herzinfarkte eine Volkskrankheit und die häufigste
     Todesursache für Männer unter 65 Jahren. Für einen Arzt war es damals nahezu unmöglich,
nicht
mit Herzkrankheiten zu tun zu haben.
    Wolf beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Er fand Unterstützung bei seinen Studenten und Kollegen in Oklahoma. Sie
     sammelten Totenscheine der Bewohner von Roseto und gingen so weit in die Vergangenheit zurück, wie sie konnten. Sie werteten
     die Archive in den Arztpraxen aus und rekonstruierten mithilfe der Krankenakten Familienstammbäume. »Wir haben 1961 mit unserer
     Arbeit angefangen und zunächst eine grobe Voruntersuchung durchgeführt«, berichtete Wolf. »Der Bürgermeister hat uns versprochen,
     ›Ich schicke Ihnen meine Schwestern, die sollen Ihnen helfen.‹ Er hatte vier Schwestern. Für unsere Untersuchungen hat er
     uns den Sitzungsraum des Gemeinderats angeboten. Ich habe ihn gefragt, wo denn dann der Gemeinderat seine Sitzungen abhält,
     aber er hat nur geantwortet: ›Die verschieben wir dann eben.‹ Seine Schwestern haben uns mit Essen versorgt. Wir haben kleine
     Kabinen aufgebaut, um Blut abzunehmen und EKGs zu erstellen. Beim ersten Mal waren wir vier Wochen da. Danach habe ich mich
     mit dem Gemeinderat unterhalten. Er hat uns über den |13| Sommer die Schule zur Verfügung gestellt, und wir haben die gesamte Bevölkerung von Roseto zu den Tests eingeladen.«
    Die Ergebnisse waren erstaunlich. In Roseto war kaum jemand unter 55 Jahren an Herzinfarkt gestorben oder wies auch nur Anzeichen
     einer Herzerkrankung auf. Bei Männern über 65 Jahren lag die Zahl der Todesfälle durch Herzerkrankungen um 50 Prozent unter
     dem Landesdurchschnitt. Genauer gesagt, war die Todesrate bei sämtlichen untersuchten Krankheiten in Roseto um 30 bis 35 Prozent
     niedriger als im Rest der Vereinigten Staaten.
    Wolf holte sich Unterstützung bei einem Freund namens John Bruhn, einem Soziologen der University of Oklahoma. »Wir haben
     Medizin- und Soziologiestudenten angeheuert, die in Roseto von Tür zu Tür gegangen sind und jeden Einwohner über 21 befragt
     haben«, erinnert sich Bruhn. Das war vor mehr als 50 Jahren, doch Bruhn klingt noch immer erstaunt, wenn er die Ergebnisse
     beschreibt. »Wir haben keine Selbstmorde, keinen Alkoholismus, keine Drogenabhängigkeit und kaum Verbrechen gefunden. Niemand
     hat Sozialhilfe bezogen. Niemand hatte Magengeschwüre. Die Leute sind an Altersschwäche gestorben. Das war’s.«
    Mediziner wie Wolf haben einen Namen für Ortschaften wie Roseto, die aus der Alltagserfahrung herausfallen und auf die normale
     Regeln nicht zuzutreffen scheinen. Sie sprechen von Ausreißern.
    2.
    Wolf nahm zunächst an, die Rosetani hätten möglicherweise einige Ernährungsgewohnheiten aus der Alten Welt mitgebracht und
     seien deshalb gesünder als die übrigen US-Amerikaner. Doch er erkannte sehr schnell, dass dies nicht der Fall war. Die Rosetani
     kochten mit Schweineschmalz und nicht mit dem sehr viel gesünderen Olivenöl, das ihre Landsleute in der alten Heimat verwendeten.
     In Italien
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