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Überfall nach Ladenschluß

Überfall nach Ladenschluß

Titel: Überfall nach Ladenschluß
Autoren: Stefan Wolf
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zur Straße
ab.
    Dicke
Himbeeren prangten. Locke pflückte und prüfte, ob sich Maden gebildet hatten.
Keine. Na, prima! Sie pflückte und hörte, wie der Wagen auf den Rastplatz bog.
Für einen Moment sah sie ihn auch. Er war himbeerrot, hielt jetzt, und der
Motor verstummte.
    Tom pfiff
nicht mehr. Offenbar hatte er Nicki gefunden.
    Locke
konnte nicht sagen, ob zwei oder fünf Minuten verstrichen waren. Pflückend
näherte sie sich dem Rastplatz. Sie sah nur einen Ausschnitt, denn der Wald war
dicht bis zum Rand. Sträucher, Büsche und Himbeerruten legten einen Wall. Durch
den führte der Pfad.
    In diesem
Moment ertönte der Schrei.
    Eine Frau
schrie. Der Schrei kam vom Rastplatz. Es wäre ein schriller und sicherlich
langer Hilferuf geworden — mit mindestens 15 i s.
    „Hiiiii...“
    Aber der
Schrei wurde abgewürgt, etwa nach dem fünften i, und das klang schaurig.
Bestimmt litt ein Damenhals unter harter Pranke. Locke fröstelte vom Strohhut
bis in die Sandalen. Sie war erstarrt für einen Moment. Aber dann ließ sie
Vorsicht außer acht. Der Korb mit den Schüsseln landete im Moos. Sie rannte zum
Rastplatz.
    Seit dem
Schrei waren nur Sekunden verstrichen. Was sich abspielte, sah sie erst, als
der Pfad hinter ihr lag und sie von Sonnenlicht überschüttet wurde.
    Zwei Wagen
parkten: der Himbeerrote, ein schickes Coupé — und eine rostige Karre.
    Die
Fahrertür des Coupés war geöffnet. Ein maskierter Kerl hatte die einzige
Insassin herausgezerrt. Hinterrücks hielt er sie gepackt. Eine Hand preßte sich
auf ihren Mund. Die andere griff hinter den Fahrersitz, angelte nach irgendwas
und — grapschte die Handtasche.

    Der Frau —
sie war jung — knickten die Knie ein.
    Der Räuber
war mittelgroß und stämmig. Die Maske verhüllte seinen Kopf vom Adamsapfel bis
zum Scheitel, war offenbar Teil einer roten Strumpfhose gewesen, oben
zugebunden wie ein Wurstzipfel und mit Seh- und Entlüftungsschlitzen versehen:
an Augen und Mund. Auch die Ohren waren frei.
    Sank die
Frau in Ohnmacht?
    Sie hing
nur noch in seinem Griff. Der Kopf baumelte. Sie leistete soviel Widerstand wie
eine Wolke Rasierwasser.
    Der
Verbrecher merkte das und ließ sie fallen. Sie glitt zu Boden, und ihr
lärchengrünes Kleid breitete sich über den Staub.
    Locke
zitterte. Ihre schlanken Gehwerkzeuge schienen plötzlich mit dem Boden
verbunden wie die Beine des Rastplatztisches. Sie fühlte Empörung, sicherlich —
und Entsetzen. Aber Angst, begründete Angst erstickte jede Handlung.
    Sie wußte,
wer dieser Verbrecher war.
    Der Rote!
    Sommerhitze
— und eine Maske aus dem Oberschenkel einer Wollstrumpfhose! Ihm mußte der
Schweiß ausbrechen, zumal er ja arbeitete — körperlich arbeitete. Es selbst
wohl so nannte.
    Er hatte
Locke nicht bemerkt, weil er schräg zu ihr stand, faßte jetzt den Zipfel der
Maske und streifte sie ab.
    Alles hatte
nur Sekunden gedauert.
    Lockes
Atem, ohnehin auf Sparflamme gedreht, stockte völlig. Sie sah ihn, den Roten.
Den Kerl, nach dem sich Polizisten die Dienststiefel schiefliefen. Den
gefürchteten Räuber, der seit Monaten in der Stadt und umliegenden Orten sein
Unwesen trieb. Sie sah ihn, auf dessen Ergreifung Prämien ausgesetzt waren.
    Er war
jung, vielleicht Anfang Zwanzig, sein Haar braunblond und das Gesicht gut
geschnitten, aber so einprägsam wie eine von 350 Schmeißfliegen über einer
Mülltonne, in der Abfälle gären.
    Oh! dachte
Locke. Ihre linke Ferse hob sich, um im Krebsgang möglichst viele Himbeerruten
zwischen sich und den Kerl zu bringen. Aber der hatte es jetzt eilig.
    Grinsend
klemmte er sich die Tasche unter den Arm. Sie sah kostbar aus, war wohl
einstens Teil einer seltenen Schlange gewesen und enthielt bestimmt einen
gutgefüllten Geldbeutel — vielleicht auch eine Puderdose aus purem Gold.
    Der Rote
wandte sich seinem Wagen, der Rostkarre, zu. In derselben Sekunde bemerkte er
Locke.
    Etwa zwölf
normale Schritte — bzw. acht oder neun Riesenschritte — trennten die beiden.
    Ihre Blicke
stießen sich wie Fäuste. Er hatte blaßblaue Augen, der Kerl. Seine Zähne
schimmerten. Er hatte die Lippen zurückgezogen — wie ein Hund, wenn er
angreift.
    Jetzt ist
es aus mit mir! dachte Locke. Jetzt bringt er mich um. Weil ich sein Gesicht
kenne. O Gott, wie soll ich mich wehren?
    Der Rote
bewegte sich. Er kam auf sie zu. Auf seinem Gesicht glänzte Schweiß. Die Züge
schienen erstarrt. Kälte stand in den Hechtaugen.
    „Wenn Sie
mir was tun...“ Locke fand ihre Stimme
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