Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über Stock und Runenstein

Über Stock und Runenstein

Titel: Über Stock und Runenstein
Autoren: Charlotte MacLeod
Vom Netzwerk:
bestimmt.«
    Das Armenhaus der Gemeinde Balaclava
war zwar bereits vor über 45 Jahren abgerissen worden und hatte einem Wohnblock
mit hübschen kleinen modernen Apartments für Senioren Platz gemacht, aber
Cronkite dachte, daß er nicht unbedingt versuchen sollte, diese Tatsache Miss
Horsefall auseinanderzusetzen.
    »Ich würde gerne einen Blick auf den
Runenstein werfen«, meinte er. »Eine Schande, daß alte Wahrzeichen einfach so
in Vergessenheit geraten. Der Stein könnte doch von historischer Bedeutung
sein.«
    »Hat Canny immer gedacht«, antwortete
Miss Horsefall. »War allerdings ab und zu nich’ ganz klar im Kopp, der Gute.
Aber mit ihm in der Kutsche war’s lustig, alles, was recht is’. Pack dir mal
die Heckenstutzer hier, Herzchen, und versuch, ob wir uns ‘n Weg zum Stein
freischlagen können. Is’ ganz in der Nähe, gleich da vorn am Hügel. Würd’ gern
selbs’ mal wieder ‘n Blick drauf werfen, wegen der alten Zeiten.«
    Sie reichte Cronkite eine Heckenschere
von enormem Ausmaß und stieg erstaunlich schnell die Verandatreppe herab, wobei
sie das Geländer, das bedeutend wackliger aussah als sie, verachtungsvoll
verschmähte.
    »Komm mal ums Haus rum. Kannste die
Kronen von’n alten Eichen hinter der Kuhle da hinten sehn? Da war mal ‘n
richtiger Weg, als ich noch ‘n junges Mädchen war. Jetzt is’ sicher alles
zugewachsen, nehm’ ich an. Ich kann Henny einfach nich’ dazu kriegen, alles so
in Schuß zu bringen, wie’s sich gehört.«
    »Henny ist sicher Ihr Neffe Henry
Horsefall?« fragte Cronkite, der noch immer verzweifelt versuchte, das
Interview nicht völlig außer Kontrolle geraten zu lassen. »Er müßte jetzt etwa
85 sein, nicht wahr?«
    »Zweimal falsch geraten, Jungchen.
Erstens heißt er nich’ Henry, sondern Hengist. Bei uns Horsefalls hat’s immer
nur Hengists gegeben, seit Gott weiß wie lang schon, aber frag mich bloß nich’,
warum, ich hab’ auch keinen Schimmer. Henny heißt jedenfalls nach meinem eignen
Onkel Hengist, und der nach seinem Großonkel, der hat damals noch mit General
Herkimer bei Oriskany gekämpft und an ‘ner Stelle ‘ne Musketenkugel abgekriegt,
wo’s verdammt wehtut. Drum war er auch Großonkel und nich’ Urgroßvater, falls
du’s dir aufschreiben willst. Zweitens is’ er erst 82, kein Grund also, nich’
wie ‘n richtiger Mann ordentlich zu arbeiten. Aber Henny war schon immer ‘n
bißchen mickrig. Schlägt ganz nach der Familie seiner Mutter. Die war ‘ne Swope
drüben von Lumpkinton. Die Swopes sind nie besonders kräftig gewesen. Quatscht
sicher wieder mit Professor Arnes mm, statt aufm Acker zu arbeiten.«
    »Ich habe Ihren Neffen und Professor
Arnes mit dem Kultivator auf dem Feld gesehen, als ich herkam.«
    Cronkite fügte jedoch nicht hinzu, daß
er beim Anblick der beiden alten Männer mitten auf dem vorbildlich bestellten
Acker einen seltsamen Kloß im Hals verspürt hatte. Daß Hennys Mutter eine Swope
gewesen war, hatte er nicht gewußt. Das bedeutete, daß er selbst um ein paar
Ecken mit dem Mann verwandt war, der nach jenem Mitstreiter von General
Herkimer benannt worden war. Swopes hatte es in der Gegend von Lumpkinton schon
beinahe so lange gegeben wie Horsefalls in Lumpkin Corners. Weit davon
entfernt, an der Beleidigung seiner Vorfahren Anstoß zu nehmen, begann er
vielmehr, echtes Interesse an Miss Hilda und ihrem Neffen zu entwickeln.
    »Sind die Swopes irgendwie mit den
Arnes’ verwandt?« fragte er hoffnungsvoll.
    Auf eine Verwandtschaft mit dem
berühmten Professor Timothy Arnes vom Balaclava Agricultural College könnte man
sich wirklich etwas einbilden. Zwar hatten die Balaclava Rammböcke die Rasenden
Rüpel von Lumpkin Corners beim Balaclava-County-Zugpferdwettbewerb vor zwei
Monaten vernichtend geschlagen, aber Cronkite sah sich gern in der Rolle eines
Kosmopoliten, der über lächerliche regionale Animositäten erhaben war, auch
wenn er immer noch einen leisen Groll über die Niederlage empfand, die die
Rasenden Rüpel beim Juniorenwettbewerb im Pflügen hatten einstecken müssen.
Jeder wußte, daß der Gewinner, Hjalmar Olafssen, von Thorkjeld Svenson, dem
Präsidenten des College und Großmeister der Geraden Furche, höchstpersönlich
trainiert worden war.
    Jetzt, da er darüber nachdachte, kam es
ihm mit einem Mal merkwürdig vor, wie viele skandinavische Namen hier in dieser
entlegenen Ecke von Massachusetts immer wieder auftauchten, die immerhin als Gegend
galt, in der es von weißen Protestanten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher