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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt
Autoren: Umberto Eco
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Ketzerbewegungen und in die protestantische Reformation verlagert. Von Thomas ist nur das Raster geblieben, nicht die intellektuelle Anstrengung, die es gekostet hat, ein Raster zu schaffen, das seinerzeit wirklich »anders« war.
    Natürlich lag die Schuld auch bei ihm: Er bot der Kirche eine Methode zur Versöhnung der Gegensätze und zur konfl iktlosen Einverleibung all dessen, was nicht zu vermeiden ist. Er hat gelehrt, die Widersprüche zu erkennen, um sie alsdann harmonisch zu vermitteln. Nachdem man sich einmal daran gewöhnt hatte, glaubte man, Thomas habe gelehrt, wann immer ein Gegensatz zwischen Ja und Nein auftritt, ein Jein zu ersinnen. Er mag es getan haben, nur tat er es in einem Moment der Geschichte, als
    »jein« zu sagen nicht auf der Stelle zu treten hieß, sondern einen Schritt vorwärts zu tun und die Karten neu zu mischen.
    Darum ist es gewiß erlaubt, sich zu fragen, was Thomas von Aquin tun würde, wenn er heute lebte. Aber nach alledem wird man antworten müssen: Auf keinen Fall würde er eine neue Summa Theologica schreiben. Er würde sich mit dem Marxismus und mit der Relativitätstheorie auseinandersetzen, mit der for-malen Logik, dem Existentialismus und der Phänomenologie.
    Er würde nicht Aristoteles kommentieren, sondern Marx und Freud. Dann würde er seine Argumentationsmethode ändern, sie weniger harmonisch und konziliant machen. Und schließlich würde ihm klar werden, daß er kein defi nitives System, kein ab-geschlossenes Gebäude errichten kann und darf, sondern nur ein mobiles System, eine Summa aus losen Blättern, denn in seine Enzyklopädie der Wissenschaften wäre der Begriff der historischen Vorläufi gkeit eingegangen. Ich weiß nicht, ob er noch gläubig wäre. Aber nehmen wir es als gegeben. Sicher würde er aber an seinen Jubelfeiern nur teilnehmen, um daran zu erinnern, daß es nicht darum geht, wie man heute noch anwendet, was er damals gedacht hat, sondern anderes zu denken. Oder höchstens von ihm zu lernen, wie man es anstellt, sauber zu denken, als Mensch in seiner Zeit. Und dann möchte ich nicht in seiner Haut stecken.
    (1974)
    Nachwort zur deutschen Ausgabe
    Seit über zwanzig Jahren schreibt Umberto Eco nebenbei Artikel für die italienische Tagespresse: Essays und Glossen zur Chronik der laufenden Ereignisse, Einmischungen ins Zeitgeschehen, praktische Formen einer Semiologie des Alltags.
    »Gelegenheitsschriften« nennt er sie selbst untertreibend im Vorwort zur jüngsten Sammlung, »Polemiken, Possen, nugae, kleine Bemerkungen, wie man sie früher als private Tagebuchnotizen notierte. Heute, seit uns die Massenmedien nicht nur ermöglichen, sondern ermuntern, unsere unmittelbaren Reaktionen auf die Geschehnisse und Probleme zu publizieren, erscheinen die Tagebuchskizzen gedruckt und in Serie. Sie haben den Vorteil, nicht zum Gebrauch der Späteren umgeschrieben werden zu können. Sie sind für die Zeitgenossen geschrieben, sie können in Widersprüche geraten, sich in das Delikt des übereilten Urteils verrennen. Sie sind für den, der berufl ich schreibt, die richtigste Art und Weise (und jedenfalls die verantwortlichste), sich politisch zu engagieren.«
    Die hier zusammengestellten Texte, ausgewählt aus den drei Essaybänden Il costume di casa. Evidenze e misteri dell’ideologia italiana (»Heimische Sitten und Bräuche. Evidenzen und Mysterien der italienischen Ideologie«, 1973), Dalla periferia dell’impero (»Von den Rändern des Reiches«, 1977) und Sette anni di desiderio (»Sieben Jahre Verlangen«, 1983), umfassen den Zeitraum von 1967 bis 1983. Die Auswahl wurde vom Autor und mir vorwiegend nach dem Kriterium der Verständlichkeit für nichtitalienische Leser getroffen. Anspielungen und Verweise auf kulturelle Daten, Ereignisse und Personen, die außerhalb Italiens kaum bekannt sind, wurden entweder in Fußnoten er-klärt61 oder, wenn irgend möglich, durch knappe Einfügungen im Text verständlich gemacht; Namen und Fakten, die nur als Beispiele dienen, wurden, wo nötig, durch hierorts bekanntere Äquivalente ersetzt (so steht im Original z.B. Carolina Invernizio statt Hedwig Courths-Mahler, Claudio Villa statt Karel Gott und Gabrio Lombardi, seinerzeit heftigster Agitator gegen die zivile Ehescheidung, statt Kardinal Ratzinger). In einigen Fällen ließ sich die kulturelle Schranke allerdings nicht überwinden. So bleibt der Anfang im »Dialog über die Todesstrafe« für nichtitalienische Leser weitgehend unverständlich oder jedenfalls
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