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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt
Autoren: Umberto Eco
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Meister gab (einen Griechen), der einen Schlüssel liefern könnte, um diese membra disjecta einer Kultur zusammenzufügen: Aristoteles. Aristoteles wußte von Gott zu sprechen, aber er klassifi zierte die Tiere und Steine und befaßte sich mit dem Lauf der Gestirne. Aristoteles kannte sich in der Logik aus, er beschäftigte sich mit Psychologie, er sprach von Physik und klassifi zierte die politischen Ordnungen. Doch vor allem bot er den Schlüssel (und Thomas wird sich ihn bestens zunutze machen), um das Verhältnis zwischen dem Wesen der Dinge (das heißt jenem Bißchen, was man von den Dingen begreifen und sagen kann, auch wenn man sie nicht unmittelbar vor Augen hat) und dem Stoff, aus dem sie gemacht sind, umzuwälzen. Lassen wir Gott auf sich beruhen, er führt sein eigenes Leben und hat der Welt exzellente Naturgesetze gegeben, damit sie allein weitermachen kann. Und verlieren wir uns auch nicht in der Suche nach der Spur der Essenzen in ihrem mystischen Niederströmen, in dessen Verlauf sie, unterwegs ihr Bestes ver-lierend, sich mit Materie besudeln. Der Mechanismus der Dinge ist hier, vor unseren Augen, die Dinge sind das Prinzip ihrer Bewegung. Ein Mensch, eine Blume, ein Stein sind Organismen, die nach einem inneren Gesetz, das sie bewegt, zu dem herangewachsen sind, was sie sind: Das Wesen ist das Prinzip ihres Wachstums und ihrer Organisation. Es ist ein Etwas, das in ihnen steckt, bereit, aus ihnen hervorzubrechen, das die Materie von innen bewegt, sie wachsen und ans Licht treten läßt. Deshalb können wir es verstehen. Ein Stein ist ein Stück Materie, das Form angenommen hat, und zugleich ist aus dieser Hochzeit von Stoff und Form eine individuelle Substanz geboren. Das Geheimnis des Seins, wird Thomas hier mit einem Geistesblitz kommentieren, liegt im konkreten Akt des Existierens. Das Existieren, das Sichereignen sind keine Unfälle, die den Ideen zustoßen, die besser im warmen Uterus der fernen Gottheit geblieben wären.
    Zuerst existieren die Dinge konkret, dem Himmel sei Dank, und dann begreifen wir sie.
    Natürlich sind hier zwei Punkte zu präzisieren. Erstens hieß die Dinge begreifen nach der aristotelischen Tradition noch nicht, sie experimentell zu studieren. Es genügte zu begreifen, daß die Dinge zählen, den Rest besorgte die Theorie. Kleinigkeit, wenn man so will, aber schon ein recht großer Sprung im Vergleich zum halluzinierten Universum der vorausgegangenen Jahrhunderte.
    Und zweitens mußte man, wenn man Aristoteles christianisieren wollte, etwas mehr Platz für Gott einräumen, der ein bißchen zu sehr im Abseits gestanden hatte. Die Dinge wachsen zwar durch die innere Kraft des Lebensprinzips, das sie bewegt, aber man wird zugeben müssen, daß Gott, wenn er sich diese ganze große Bewegung zu Herzen nimmt, auch fähig ist, den einzelnen Stein zu denken, während der Stein auf eigene Faust heranwächst, und wenn Gott beschlösse, den elektrischen Strom abzuschalten (den Thomas »Teilnahme«, participatio nennt), käme es zu einem kosmischen Blackout. Infolgedessen liegt zwar das Wesen des Steins im Stein und ist darum faßbar für unseren Geist, der fähig ist, es zu denken, doch es existierte schon vorher im Geiste Gottes, der voller Liebe ist und seine Zeit nicht damit verbringt, sich die Nägel zu feilen, sondern das Universum mit Energie zu versorgen. – Dies war das Spiel, das es zu spielen galt, sonst wäre Aristoteles nicht in die christliche Kultur eingegangen, und wenn Aristoteles draußen geblieben wäre, wären die Natur und die Vernunft draußen geblieben.
    Es war ein schwieriges Spiel, denn die Aristoteliker, die Thomas vorfand, als er mit seiner Arbeit begann, hatten einen anderen Weg eingeschlagen, der uns womöglich besser gefällt und den ein Interpret, dem der Sinn nach historischen Kurzschlüssen steht, sogar materialistisch nennen könnte. Allerdings war es ein recht undialektischer Materialismus, eher ein astrologischer, und er störte so gut wie alle, die Hüter des Korans ebenso wie die Hüter des Evangeliums. Der Verantwortliche war ein Jahrhundert zuvor Averroës gewesen, ein sehr vielseitiger Gelehrter: Theologe, Jurist, Mediziner und Philosoph, von Erziehung Moslem, von Herkunft Berber, von Nationalität Spanier und der Sprache nach Araber. Averroës kannte Aristoteles besser als alle und hatte begriffen, wohin die aristotelische Wissenschaft führte: Gott ist kein Intrigant, der sich überall einmischt, er hat die Natur erschaffen in ihrer
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