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Über das Trinken

Über das Trinken

Titel: Über das Trinken
Autoren: Peter Richter
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Rauschtrinkens jetzt allmählich die Phase erreicht ist, in welcher der einzelne mit der Mineralwasserflasche über eine Party schwebt.
    Es käme nämlich darauf an, dem Wasser eine ähnliche Wertschätzung einzuräumen wie zuvor den Alkoholika. Aber genau da sind wir zum Teil schon auf einem guten Weg. Um das Wasser werden einmal die Kriege der Zukunft geführt werden, sagt Peter Scholl-Latour schon
seit Jahren. Und zwar nicht nur auf dem Sinai oder in Arabien, darf man inzwischen hinzufügen, sondern auch in den Bars und Kneipen des Westens. Deutsche, die etwas auf sich halten, trinken schon heute nur noch französisches Wasser. Oder sie fahren nach Amerika, um dort Wasser von den Fiji-Inseln zu bekommen. Einheimisches Selterswasser hat in diesen Kreisen dagegen ein Prestige wie früher deutscher Rotwein.
    All die jungen Frauen, die mit Wasserflaschen in der Hand joggen gehen, damit man sie für Models hält (denn es steht in den Frauenzeitschriften geschrieben, daß Models viel Wasser trinken, um schlank zu bleiben, also an den Wasserflaschen als Models erkennbar sind), die sind heute schon die phänomenologische Antwort auf den Bauarbeiter mit der Bierflasche.
    In den Altersklassen darüber erreicht die Diskussion über die segensreiche Wirkung von Mondschein-Abfüllungen und darüber, ob das Wasser links oder rechts herum verwirbelt, längst das Niveau der Önologenprosa von Weinkennern. Das ist gut so. Vieles davon mag im Augenblick noch etwas esoterisch klingen, aber die Auswertung und die Aufwertung des Wassers haben ja auch gerade erst begonnen. Und nur wenn es mindestens so mythenumflort und teuer ist wie die alkoholischen Getränke, wird das Wasser wirklich als Waffe im Kampf gegen die Nüchternheit taugen.

     
    Der Kampf gegen die Nüchternheit aber ist vor allem eine Sache von Willen und Entschlossenheit. Das wäre die zweite Lehre der Isländer: Trunkenheit ohne Drink ist möglich, denn Rausch ist vor allem eine soziale Aufgabe und Anstrengung.
    Dieser Kampf gegen die Nüchternheit ist heute aber auch notwendiger denn je.
    Es gibt marxistische Theoretiker, die haben die Nüchternheit als böswillige Erfindung des Bürgertums erklärt. Bei dem Philosophen Wolfgang Fritz Haug etwa erscheint der klare Kopf als perfides Machtmittel, um das Zusammengeraffte effizienter verwalten zu können. Tatsache ist, daß die Nüchternheit noch nicht sehr alt ist. Sie kam mit dem Tee und dem Kaffee nach Europa, sie ist ein koloniales Handelsgut, sie fand ihren Platz in den Kaffeehäusern und Salons, dort wurde sie zur Agentin der Aufklärung und schließlich der Moderne.
    Richtig ist, daß es das Bürgertum war, das einen gesellschaftlichen Keil der Nüchternheit zwischen die dauerbetäubten Kasten des Adels auf der einen und der Unterschichten auf der anderen Seite trieb, welcher, wie das Keile so an sich haben, immer breiter wurde. Das hatte auch zweifellos seine Verdienste. Aber es war eben von Anfang an auch nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte der Wahrheit verbirgt sich in der abgespaltenen Figur des Genies, des Künstlers, des Bohemiens, Aussteigers oder Dandys, kurz: in denen, die für die verdrängten Leidenschaften,
den Irrsinn, das Unterhaltungsprogramm zuständig sind.
    Mit Leuten, die nur am Rand stehen und zugucken, kann keine Gesellschaft funktionieren. Schon gar keine Abendgesellschaft.
    Es braucht immer die, die in Vorleistung gehen.
    Es braucht die, die sich anbieten, aufopfern, zur Not zum Affen machen, und zwar nicht, weil sie weniger Hemmungen hätten, sondern weil sie die soziale Bringschuld sehen. Es braucht die, die agieren. Wer immer nur reagiert, ist eben tatsächlich nichts als ein Reaktionär und muß als solcher zurückgewiesen werden. Leute, die aus der sicheren Deckung ihrer Enthaltsamkeit sarkastische Konter setzen, sind unsportlich und feige.
    Eine Gesellschaft von lauter lauten Berauschten kann anstrengend sein. Aber eine Gesellschaft, in der alle immer beherrscht hinter verschränkten Armen auf die Späße der anderen warten, um sie dann abfällig kommentieren zu können, eine Gesellschaft von Leuten, die sich in die Hose machen vor Furcht, sie könnten sich auch einmal gehen lassen, eine Gesellschaft von verstockten Angsthasen, Eckenstehern, Zuguckern und Tutmirleidichmußnochfahrensmännern  – also eine Gesellschaft nur mit Nüchternen und zur Nüchternheit Entschlossenen: Das wäre die Hölle auf Erden.
    Dazu darf man es bitte niemals kommen lassen.

Dank an
    Ophelia
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