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Über Alle Grenzen

Über Alle Grenzen

Titel: Über Alle Grenzen
Autoren: Lama Ole Nydahl
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meinen üblichen gebrauchten Militärkleidern hob ich den hohen Gast auf den Beifahrersitz unseres rostigen VW-Busses auf ein viel zu dickes Kissen. Dann ging die Fahrt mit hoher Geschwindigkeit durch Oslo, wobei Karmapas Kopf fast gegen die Decke stieß, bis wir auf die Idee kamen, das Kissen wegzunehmen. Lody Sherab, sein Begleiter, erwähnte höflich, dass es in Amerika gute Autos gäbe. Das war eine Anspielung darauf, dass sie in den USA in meterlangen Dollarkisten samtweich herumgefahren worden waren. Dort gab es genügend reiche Spender, und die Verbände waren auch bereit, sich zu verschulden. Gegen Ersteres hätten wir nichts einzuwenden gehabt, aber Schulden wollten wir unter keinen Umständen. Als Nordeuropäer bis in die Knochen antwortete ich: “Die Lackkästen drüben lassen sich weder lenken noch bremsen, aber schaut, was das alte Auto hier kann!” Danach legte ich noch ein paar Rutschpartien auf der verschneiten Straße hin, zu Ehren europäischer Autohersteller. Das Hotel jedoch hätte sogar den größten Snob zufrieden gestellt. Es lag auf dem Holmenkollen, dem bekanntesten Skihügel des Nordens, und war ein riesiges Gebäude im Blockhaus-Stil. Was die netten Besitzer uns dort kostenlos bereitstellten, war auf jeder Ebene ein Vergnügen und ein edler “Einstieg” in unseren Teil der Welt.

    S.H. Gyalwa Karmapa zeigt die Schwarze Krone

    Die Freunde erwarteten mit Spannung Karmapas Ankunft. Die Lehrer, die vor ihm da gewesen waren, hatten die Richtung angezeigt und alles vorbereitet. Nachdem wir alle so viel von ihm erzählt hatten, sollten sie ihm nun selbst begegnen. Karmapa segnete sie sofort und zeigte kurz danach die Schwarze Krone zum ersten Mal in Europa. Durch die Form der Schwarzen Krone entsteht eine Offenheit, die es ermöglicht, die tiefsten Ebenen des Geistes zu reinigen und zu bereichern. Buddha selbst hatte Karmapa und seine Krone in zwei wichtigen Sutren vorhergesagt. Durch die Kraft der Übertragung erreicht jeder, der der Zeremonie beiwohnt, innerhalb von nur drei Lebenszeiten Befreiung . Sogar im Vergleich zu den anderen wirksamen Mitteln des Diamantweges ist diese Geschwindigkeit einzigartig. Bei der anschließenden Schützer-Einweihung warf er gesegnete Senfkörner in den Raum. Diese verwandelten sich in schwarze Karmapa-Pillen, sobald die Leute sie in die Hand nahmen. In der gleichen Weise, wie die Karmapas früherer Zeiten bei ihren Chinabesuchen Wunder als Gastgeschenke vollbracht hatten, so grüßte Karmapa Europa.

    Wer von beiden bin ich?

    Als alle, von den Erlebnissen erfüllt, gegangen waren, kam Hannahs und meine Zeit mit Karmapa. Er ließ uns völlig dahinschmelzen und zeigte sich uns wie niemals zuvor. Er stellte ein Bild neben sich auf, das in Lebensgröße seinen zeitlosen Geisteszustand ausdrückte, und fragte: “Wer von beiden bin ich?” Dann rollte er das Bild zusammen und gab es uns. Was nach dieser Belehrung des Großen Siegels folgte, war ein fast noch größeres Geschenk: Er erzählte uns seine Lebensgeschichte. In malerischen Beschreibungen ließ er das ganze kraftvolle Osttibet, an das ihn Norwegen so sehr erinnerte, wieder auferstehen. Er erzählte von seiner Sippe, ihren Übertragungen, Lieben und Kämpfen, und verweilte beim stärksten seiner sieben Brüder. Wenn dieser zu Hause durch das Tor ritt, schlang er die Beine um sein Pferd, ergriff einen Ring über sich und zog sich und das Pferd daran hoch. Mit einem donnernden Lachen, das seinen kräftigen Körper schüttelte, zeigte Karmapa auf seinen Kopf und sagte: “Ich war der kleinste von ihnen, aber ich bin der Einzige, der heute noch Haare hat!”

    Drei Tage lang lief das Programm mit kraftvollen Kronzeremonien und einer Einweihung auf Karma Pakshi, den 2. Karmapa, die allen die Luft nahm. Entgegen jeder Vorschrift war es auch gelungen, Unmengen von Karmapas Vögeln ohne Quarantäne durch den Zoll zu bekommen. Er wollte sie bei sich haben und ließ seinem Reisesekretär keine Ruhe, bis die Käfige im Raum standen.
    Karmapas Verhältnis zu Vögeln sprengte alle Vorstellungen. Als ausgeprägter Sinnesmensch, der am liebsten die Dinge berührt, um sie voll zu erleben, hatte ich mich nie viel mit den kleinen, allzu zerbrechlichen Federbällen beschäftigt. Karmapa sorgte für eine “Umschulung”. Es geschah ganz von selbst. Während wir ihn in großen europäischen Städten herumfuhren, in denen er niemals zuvor gewesen war, sagte er oft: “Park da drüben!” Er nahm uns mit um die Ecke, und da
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