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Turils Reise

Turils Reise

Titel: Turils Reise
Autoren: Michael Marcus Thurner
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gehorchten ihren Instinkten, suchten offenbar die Sicherheit des Dunkels. Oder hatte sie jemand zu sich herabgerufen?
    Endlich kehrte Ruhe ein. Das Fünkchen leuchtete einige Meter unter ihm. Es machte keine Anstalten, zu ihm zurückzukehren, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen.
    Turil öffnete vorsichtig die Hand und begutachtete die Karakähe. Sie wagte einen vorsichtigen Fiepser und zog die weit über den Kopf geschlungenen Lederflügel zurück. Goldgesprenkelte Augen starrten Turil an. Die schmutzverklebten Nasenmembrane bewegten sich in raschem Rhythmus. Breite, im Windzug flatternde Hautlappen bedeckten die Wangen des sonst fledermausähnlichen Gesichts. Unzählige Warzen wuchsen dort; sie bildeten ein dichtes Geflecht, das wohl so etwas wie zusätzliche Sinnesrezeptoren darstellte.
    Turil öffnete die Hand zur Gänze. Die Karakähe blieb ruhig sitzen, schien nicht glauben zu wollen, dass ihr erlaubt war, der Gefangenschaft zu entfliehen. Nach Sekunden erst stieß sie sich ab und kreischte laut, verwundert, bevor sie sich mit eng angelegten Flügeln in die Tiefe stürzte, am Fünkchen vorbei, einem unbekannten Ziel entgegen.
    »Wie weit ist es noch bis zum Grund der Katakomben?«, fragte Turil.
    »Noch etwa fünfzig Sprossen.«
    Turil aktivierte die Sicherheitsmechanismen seines Anzugs, ohne das Fünkchen davon zu informieren. Der Ledermantel war trotz seines schäbigen Aussehens ein Wunderwerk der Technik. Er bestand aus bewährten und
robusten Mischmaterialien, die einem Strahlenbeschuss ebenso standhalten konnten wie mechanischer Einwirkung, und hütete darüber hinaus vielfältige Geheimnisse. Erfahrungswerte mehrerer Generationen von Totengräbern und stetige Anpassungen an geänderte Lebensumstände machten das so unscheinbare Kleidungsstück zu seinem wertvollsten Schutzmittel - und zu seinem ärgsten Feind.
    Schweigend setzte er seinen Weg fort. Bald ertastete er mit den Füßen den Boden und machte prüfend ein paar Schritte vorwärts, ins Unbekannte hinein. Das Licht der Fackel reichte nur wenige Meter weit. Von irgendwoher wehte kalter, stetiger Wind, und in der Ferne meinte er, das Flattern des Karakähen-Schwarms auszumachen.
    »Wir sind unterhalb des Zentrums des Kathustrals«, sagte das Fünkchen. »Mach jetzt die Fackel aus und schließ die Augen.«
    Die Kienfackel löschen? Seine einzige Lichtquelle - ausgenommen jener des heimtückischen Fünkchens?
    Trotz seines Misstrauens gehorchte Turil. Wiederum dachte er an die unzähligen Mechanismen, die in seinen Mantel eingearbeitet und darin versteckt waren. Er zählte mindestens 22 Möglichkeiten, um sich gegen einen unerwarteten Angriff zu wehren. Er hatte nichts zu befürchten.
    Er presste die Augen fest zusammen. Trotz des Gefühls, inmitten eines Nichts zu stehen, zu treiben, zu fallen, gefangen zu sein in einem unendlichen Raum aus Schwärze, zählte er bis zehn, bevor er die Augen wieder öffnete.
    Da war Licht. Ein Hauch, ein Schein, der ihn die Umgebung erkennen - und staunen ließ. Er war umgeben von einem Gespinst langer, dünner Fäden, deren Enden blass leuchteten. Dies waren die Wurzeln der Bäume des Kathustrals, und sie emittierten blaues, kaltes Licht.

    »Es soll sehr schön sein«, sagte das Fünkchen mit trauriger Stimme. »Wir können das Leuchten der Wurzeln nicht erkennen, weil wir selbst zu viel Helligkeit abstrahlen.«
    Turil achtete nicht auf das kleine Geschöpf. Er sah sich um und staunte. Er stand am Eingang zu einer riesigen Höhle, die von riesigen Kristallformen durchzogen war. Sie lagen kreuz und quer, schienen in Größe und Form einen Kampf um die Vormachtstellung in diesem unterirdischen Reich auszutragen. Salzverkrustet waren sie; von Stalaktiten tröpfelte beständig mineralienhaltige Flüssigkeit auf die Riesenkörper herab. Daumengroße Kristalle kullerten da und dort aus großer Höhe zu Boden und zerbarsten. Die Reste bildeten abstrakte und sinnverwirrende Muster. Viele der Lichtwurzeln hatten ihre feinen Ausläufer um die streng strukturierten Gebilde gewickelt. Einer von ihnen, mindestens zehn Meter lang und zylindrisch geformt, schwebte frei in der Luft, lediglich von Baumstrünken gehalten. Dort saßen Karakähen. So viele, dass sie den Riesenkristall schwarz färbten und kaum einen Blick auf das semitransparente Mineral erlaubten.
    Turil berührte einen der größeren Kristalle, der sich warm und feucht anfühlte. Er hielt den nachglimmenden Stumpf seiner Fackel unter den Mineralstein und
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