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TS 67: Der Held des Universums

TS 67: Der Held des Universums

Titel: TS 67: Der Held des Universums
Autoren: Robert Silverberg
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ihm gesprochen?“
    „Hm. Habe ihm eine Menge erzählt. Vielleicht sogar zuviel. Aber mir ist seitdem wohler.“
    „Seltsam“, sagte sie, „mir auch. Ein eigenartiger Mensch, nicht? Wandert auf der Party herum und hört sich die Wehwehchen von jedem an. Gestern abend hat man ihm bestimmt sämtliche Neurosen von ganz New Brewster auf den Rücken geladen.“
    „Schien ihn aber nicht zu bedrücken. Je mehr er mit den Leuten sprach, desto freundlicher und gelöster kam er mir vor. Auf uns hat er ja auch seine Wirkung gehabt. Du siehst ganz entspannt aus, Lys, besser als seit Monaten.“
    „Das bin ich auch. All das Häßliche und Böse ist von mir genommen.“
    Und so hatte sie sich auch noch am nächsten Morgen gefühlt. Lys wachte auf, blinzelte, blickte auf das leere Bett neben sich. Leslie war schon lange auf dem Weg zur Stadt. Sie wußte, daß sie wieder mit Hallinan sprechen mußte. Sie war noch nicht alles losgeworden. Da war immer noch etwas von dem Gift in ihr, das unter Mr. Hallinans Warme dahinschmelzen würde.
    Sie zog sich ungeduldig an, braute sich einen Kaffee und ging aus dem Haus; die Copperbeech Road hinunter, am Haus der Moncrieffs vorbei, wo Daisy und ihr steifer Mann Fred damit beschäftigt waren, die Aschenbecher vom vergangenen Abend auszuleeren, und dann den Melonenhügel hinauf zu dem kleinen Häuschen.
    Mr. Hallinan kam in einem karierten Morgenmantel an die Tür. Er wirkte ziemlich müde, beinahe verkatert. Die Lider seiner dunklen Augen waren geschwollen, und auf seinen Wangen war ein leichter Anflug von Stoppeln zu sehen.
    „Ja, Mrs. Erwin?“
    „Oh – guten Morgen, Mr. Hallinan. Ich – ich wollte Sie sprechen. Ich hoffe, ich störe Sie nicht – das heißt …“
    „Schon gut, Mrs. Erwin. Aber ich bin leider wirklich noch sehr müde von gestern abend, und ich wäre jetzt bestimmt kein besonders guter. Gesellschafter.“
    „Aber Sie sagten doch, Sie würden heute allein mit mir sprechen. Und – oh, da ist noch soviel, was ich Ihnen sagen muß.“
    Ein Schatten von – Furcht, Panik, Angst? – strich über sein Gesicht. „Nein“, sagte er hastig. „Nicht noch mehr – nicht jetzt. Ich muß heute ruhen. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn Sie erst am Mittwoch wiederkämen?“
    „Aber natürlich nicht, Mr. Hallinan. Ich möchte wirklich nicht stören.“
    Sie wandte sich um und ging den Hügel hinab. Er hat gestern abend zuviel von unseren Sorgen in sieb aufgenommen, dachte sie. Er hat sie aufgesogen wie ein Schwamm, und heute muß er sie verdauen …
    Oh, was denke ich?
    Sie erreichte den Fuß des Hügels, wischte sich ein paar Tränen aus den Augen und ging schnell nach Hause.
     
    *
     
    Und das entwickelte sich in New Brewster zu einer Routine. In den sechs Wochen bis zu seinem Tode war Mr. Hallinan eine feste Einrichtung bei allen Zusammenkünften der Gesellschaft – stets makellos gekleidet, stets mit einem freundlichen Lächeln um die Lippen, stets imstande, die geheimen Triebe und Ängste, die in den Seelen seiner Nachbarn lauerten, hervorzuholen.
    Und jedesmal am Tage nach solchen Veranstaltungen war Mr. Hallinan nicht zu sprechen und wies freundlich, aber fest, einen jeden Besucher ab. Was er allein in dem Haus auf dem Melonenhügel tat, wußte niemand. Im Laufe der Zeit wurde den Leuten bewußt, daß niemand besonders viel über Mr. Hallinan wußte.
    Er kannte sie alle, das schon, wußte um den einen Ehebruch vor zwanzig Jahren, der heute noch auf Daisy Moncrieffs Gewissen lastete, kannte den Schmerz, der in Dudley Heyers Herz wühlte, den blassen Neid, der in Martha Weede glitzerte, die Einsamkeit Lys Erwins und die Wut ihres Mannes – all dies und noch vieles andere wußte er, aber von ihm wußte niemand mehr als seinen Namen.
    Gegen Ende November erlebten einige Mitglieder der Gemeinschaft, wie sich ihre Gefühle für Mr. Hallinan plötzlich umkehrten – vielleicht weil sie seines dauernden Mitgefühls für ihre Sorgen müde waren. Dudley Heyer, Carl Weede und einige andere Männer waren es, die diesen Umschwung einleiteten.
    „Ich traue dem Burschen einfach nicht“, sagte Heyer. Er klopfte die Asche aus seiner Pfeife. „Er lungert dauernd herum und hört sich den Klatsch an und bringt die schmutzige Wäsche zum Vorschein – aber wofür zum Teufel? Was hat er denn davon?“
    „Vielleicht möchte er ein Heiliger werden und übt schon darauf“, bemerkte Carl Weede ruhig. „Selbstverleugnung.“
    „Die Frauen schwören ja alle auf ihn“, sagte Leslie
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