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Trügerischer Spiegel: Roman (German Edition)

Trügerischer Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Trügerischer Spiegel: Roman (German Edition)
Autoren: Sandra Brown
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Texas gezogen, die einen jämmerlichen, kalten Regen hinterlassen hatten.
    Mit bloßem Kopf stand Irish McCabe unerschütterlich neben dem Sarg. Er hatte darauf bestanden, daß er mit gelben Rosen geschmückt war, denn er wußte, daß das ihre Lieblingsblumen gewesen waren. Mit ihrer leuchtenden Farbe schienen sie sich über den Tod lustig zu machen. Das war ihm ein Trost.
    Tränen rollten über seine Wangen. Seine fleischige, mit Äderchen gezeichnete Nase wirkte roter als sonst, obwohl er in letzter Zeit nicht mehr so viel getrunken hatte. Avery hatte immer deswegen geschimpft, denn übermäßig viel Alkohol sei nicht gut für seine Gesundheit.
    Sie hatte auch mit Van Lovejoy wegen seiner Suchtneigung Streit, aber er war jetzt trotzdem high von billigem Scotch und einem Joint. Die altmodische Krawatte um seinen schlechtsitzenden Kragen war ein Zugeständnis an das ernste Ereignis und belegte die Tatsache, daß er Avery mehr geschätzt hatte als die meisten anderen Exemplare der Gattung Mensch.
    Van Lovejoy war bei anderen Leuten auch nicht beliebter als sie bei ihm. Avery hatte zu den ganz wenigen gehört, die ihn ertragen konnten. Als der Reporter, der den Auftrag hatte, für KTEX über ihren tragischen Tod zu schreiben, Van fragte, ob er das Video dazu drehen würde, hatte ihn der Fotograf nur vorwurfsvoll angesehen, ihm einen erhobenen Mittelfinger entgegengestreckt und war wortlos aus dem Nachrichtenraum geschlurft  – typisch für Van.
    Nach dem kurzen Zeremoniell am Grab machten sich die Trauernden auf den Weg zu den auf der Straße geparkten Autos, so daß nur Irish und Van am Grab zurückblieben. In diskretem Abstand warteten Friedhofsangestellte darauf, ihre Arbeit beenden zu können, um möglichst bald ins Trockene zu kommen.
    Van war in den Vierzigern und dünn wie ein Bohnenstange. Sein Haar hing von der Mitte seines Kopfes aus gerade nach unten bis fast auf seine gebeugten Schultern und umrahmte sein hageres, schmales Gesicht. Er war ein alternder Hippie, der nie über die sechziger Jahre hinausgekommen war.
    Im Gegensatz dazu war Irish kurz und stämmig. Während Van wirkte, als könnte ihn ein kräftiger Windstoß davonblasen, sah Irish aus, als würde er auf ewig stehenbleiben, wenn er seine
Füße nur fest genug gegen den Boden stemmte. So unterschiedlich sie dem Wesen nach auch sein mochten, heute glichen sich ihre Haltungen und Mienen.
    In einer seltenen Geste des Mitgefühls legte Van eine magere, bleiche Hand auf Irishs Schulter. »Komm, wir besaufen uns.«
    Irish nickte abwesend. Er trat einen Schritt vor und pflückte eine der gelben Rosen von dem Sargschmuck, dann ließ er Van vor sich aus dem provisorischen Zelt und den Weg hinuntergehen. Regentropfen klatschten in sein Gesicht und auf seinen Mantel, aber er beschleunigte seinen gemessenen Schritt nicht.
    »Ich bin mit dem Leichenwagen hergekommen«, sagte er, als wäre es ihm gerade eingefallen, weil er ihn dastehen sah.
    »Willst du damit auch zurückfahren?«
    Irish warf einen Blick auf Vans ziemlich ramponierten Lieferwagen. »Ich komme mit dir.« Er kletterte in den Lieferwagen. Das Innere war noch schlimmer als das Äußere. Die zerrissenen Sitzpolster waren mit einem abgewetzten Strandlaken bedeckt, und der braune Teppichstoff, mit dem die Wand bespannt war, roch nach abgestandenem Marihuana-Rauch.
    Van ließ den Motor an, steckte mit nikotingelben Fingern eine Zigarette an und gab sie Irish.
    »Nein, danke.« Nach kurzem Nachdenken nahm Irish die Zigarette dann doch und inhalierte tief. Avery hatte ihn dazu gebracht, das Rauchen aufzugeben. Er hatte schon seit Monaten keine Zigarette mehr in der Hand gehabt. Jetzt zog der Rauch beißend über seine Zunge und durch die Kehle. »Mein Gott, ist das gut«, seufzte er und nahm den nächsten Zug.
    »Wohin?« fragte Van um die Zigarette herum, die er gerade für sich anzündete.
    »Egal. Hauptsache, es kennt uns keiner. Könnte gut sein, daß ich heute auffallen werde.«
    Ein paar Minuten später schob Van Irish durch die rotbespannte Tür einer Bar irgendwo in den düsteren Randbezirken der Stadt. »Werden wir hier drin ausgeraubt?« fragte Irish.
    »Man wird am Eingang nach Waffen durchsucht.«
    »Und wenn du keine hast, geben sie dir eine«, griff Irish den angestaubten Witz auf.
    Die Stimmung war gedämpft. Sie setzten sich in eine dunkle Nische. Die vormittäglichen Besucher waren ähnlich abgewetzt wie die Glitzergirlande, die vor ein paar Jahren zu Weihnachten an die matten
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