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Troubles (German Edition)

Troubles (German Edition)

Titel: Troubles (German Edition)
Autoren: James Gordon Farrell
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beträchtlichen Hunger verspürte und hoffnungsvoll aufblickte, als er hörte, wie sich Schritte näherten. Aber es war nur Ripon, der sich entschuldigend in einen Sessel neben Mrs. O’Neill gleiten ließ.
    »Hast du dir die Hände gewaschen, Ripon?«, fragte Angela. »Nach dem Pferd.«
    »Ja doch, ja«, antwortete Ripon, warf dem Major ein verstohlenes Lächeln zu und lehnte sich dann in demonstrativ lässiger Art in seinem Sessel zurück. Im nächsten Moment warf er ein Bein über die Lehne und verfehlte dabei mit dem Schuh (dessen zerklüftete Konturen von einem Loch in der Sohle herrührten) nur knapp Mrs. O’Neills Gesicht. »Wo sind die Zwillinge?«
    »Die sind für eine Woche bei Schulfreunden in Tipperary. Obwohl man sich fragt, ob die Straßen heutzutage wirklich sicher sind.«
    »Auf die Straße nach Wexford haben sie Bäume stürzen lassen. So kann das wirklich nicht weitergehen. Drei Polizisten in Kilcatherine ermordet. In der
Irish Times
von heute Morgen steht, es werden sechs Shilling pro Pfund Strafgeld erhoben, im ganzen Distrikt. Da werden sie es sich das nächste Mal besser überlegen.« Mr. O’Neill sprach mit den schlanken Vokalen des Nordiren; sein eingefallenes, gelbliches Gesicht hatte den Major wieder daran erinnert (er wusste es aus Angelas Briefen), dass gemunkelt wurde, der Anwalt der Spencers habe Krebs; er habe Spezialisten in Dublin aufgesucht, selbst bei Ärzten in London sei er gewesen. Zwar hatte Angela in ihren Briefen dem Major das Urteil vorenthalten, doch dass sie nicht wieder darauf zu sprechen gekommen war, war beredt genug. Er würde sterben. Der Mann starb vor sich hin, hier im Palmenhaus, während er sich über die Abscheulichkeiten der Sinn Féin ausließ.
    »Wer durch das Schwert lebt …«, sagte Mrs. O’Neill.
    »Ah, mehr Tee!«, rief Angela, als Murphy wiederum wie ein altersschwacher, kurzatmiger Gorilla durch den Saum des Dschungels brach und einen Servierwagen vor sich her schob. Sandwiches mit Senf und Kresse. Der Major nahm eines und schnitt es mit dem kleinen, krummsäbelartigen Dessertmesser. Geschwächt vom Hunger steckte er zuerst die eine Hälfte in den Mund, dann die andere. Beide waren verschwunden, bevor er noch den Mund ganz geschlossen hatte. Nur umso hungriger geworden, nahm er ein weiteres Sandwich vom Teller, aß es, nahm ein drittes. Nur mit Mühe konnte er sich davon abhalten, zwei auf einmal zu nehmen. Zum Glück war es jetzt schon sehr schummrig im Palmenhaus (obwohl es ja erst mittlerer Nachmittag war), und vielleicht fiel es niemandem auf.
    Inzwischen erzählte Angela (die, wie sie sagte, einmal auf dem Schoß des Vizekönigs gesessen hatte) mit matter Stimme von ihrer Kindheit in Irland und Indien, dann kam sie ein wenig mehr in Fahrt, als sie bei ihrer glorreichen Jugend in der Londoner Society anlangte. Bald war sie regelrecht munter geworden, und der Tee in den Tassen ihrer Gäste wurde kalt. Ripon blickte, während Champagner aus den Schuhen seiner Schwester geschlürft wurde, immer wieder den Major an und zwinkerte ihm zu, als ob er sagen wolle: Jetzt ist es wieder mal so weit! Aber Angela merkte es entweder nicht oder achtete nicht darauf.
    Ein Wort von ihr, und gutaussehende Studenten, Mitglieder der ersten Rudermannschaft, sprangen für sie im Abendanzug in die Isis oder die Cam. Man schaukelte am Kronleuchter. Ihre Hände wurden von ehrwürdigen Staatsmännern geküsst, von Forschungsreisenden, die ihr fest ins Auge blickten, von uralten präraffaelitischen Dichtern und weiß Gott von wem noch, während Boy O’Neill an seinem Schnurrbart kaute und mit einem Brummen bei jedem neuen Akt der Schamlosigkeit Schrecken und Überraschung zeigte; seine Frau hatte derweil eine sauertöpfisch-ungläubige Miene aufgesetzt, recht hart um den Mund, als ob sie sagen wolle, dass nicht jede auf jeden Unsinn hereinfällt, den sie zu hören bekommt; Ripon grinste und zwinkerte, und Dr. Ryan schien zu dösen, altersstarr. Staunend hörte der Major zu; nie und nimmer hätte er geglaubt, dass dies dieselbe Person war (halb junges Mädchen, halb alte Jungfer), die ihm so viele präzise, faktenstarrende Briefe geschrieben hatte, voll von der Unbezwingbarkeit einer Realität hart wie Granit. Angela redete und redete, und der Major dachte derweil über diesen neuen Zug im Wesen seiner »Verlobten« nach. Zugleich verschlang er, nun wo die Düsternis des Raums sich zu einer geheimnisvollen Tropennacht verdichtete, schuldbewusst den gesamten Teller
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