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... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition)

... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition)

Titel: ... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition)
Autoren: Viktor E. Frankl
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damals auch einem Innsbrucker Freundeskreis vorgelesen. Ludwig von Ficker, Herausgeber des »Brenner«, der große, verehrungswürdige Trakl- und Kraus-Freund, lernte ihn kennen und erbat sich das Manuskript, das er 1948 in seiner Zeitschrift abdruckte. Nur wer weiß, wer Ludwig von Ficker gewesen ist, kann die ganze Bedeutsamkeit dieser Ehrung eines Zeitgenossen und seiner Botschaft ermessen. Frankl wählte für den »Brenner« das Pseudonym Gabriel Lion – eine Verbindung des Vornamens seines Vaters mit dem Mädchennamen seiner Mutter.
    Eine Aufführung, zumindest eine Sendung als Hörspiel, um die ich mich bemühte, war damals leider nicht durchzusetzen. Sie wäre aufgrund dieser Wiederkehr dringend erwünscht! 1
    Die letzten Jahre haben Frankl für vieles entschädigt, was er durch seine Heimat erleiden und was er in seiner Heimat versäumen mußte. Er ist Vortragsgast in allen fünf Kontinenten, mehrfacher Ehrendoktor, er hatte in Wien eine Gemeinde, er hat nun in aller Welt Schüler, Hörer, Jünger, Bewunderer. Sein Leben ist erfüllt, sein Wirken erfolgreich und weltweit anerkannt.
    Auf den Seiten, die hier folgen, aber gibt er uns mehr. In dialektischer Spannung wird aus einem Stück Leben und einem Theaterstück das neue, zeitgemäße Gleichnis von der Größe des Menschen in seiner Schwäche, vom göttlichen Ursprung des Leidens.
     
    Maria Enzersdorf, im Juni 1977
    Hans Weigel

EIN PSYCHOLOGE ERLEBT DAS KONZENTRATIONSLAGER
     
    DER TOTEN MUTTER

Ein Psychologe erlebt das KZ
     

Der unbekannte KZler
     
    »Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager.« Es handelt sich sonach um eine Erlebnisschilderung, also weniger um einen Tatsachenbericht; die Erlebnisseite dessen, was so tausendfältig von Millionen erfahren wurde, soll hier dargestellt werden: das Konzentrationslager »von innen gesehen« – vom Standort des unmittelbar Erlebenden. Nicht den großen Greueln gilt daher diese Darstellung – jenen Greueln, die ohnehin schon vielfach geschildert wurden (ohne deshalb allenthalben auch geglaubt worden zu sein) -, sondern den vielen kleinen Qualen oder, mit andern Worten, der Frage: Wie hat sich im Konzentrationslager der Alltag in der Seele des durchschnittlichen Häftlings gespiegelt?
    Vorweg sei gesagt, daß die Erlebnisse, auf die sich die folgenden Zeilen beziehen, sich weniger mit Vorgängen in den berühmten, großen Lagern befassen, als mit solchen in den berüchtigten Filiallagern, den Dépendancen der größeren. Es ist aber bekannt, daß gerade diese kleineren Lager ausgesprochene Vernichtungslager waren. Es ist also hier nicht die Rede vom Leiden und Sterben der großen Helden und Märtyrer, vielmehr von den »kleinen« Opfern und vom »kleinen« Tod der großen Masse. Nicht damit werden wir uns zu beschäftigen haben, was der jahrelange Capo oder der eine oder andere »prominente« Häftling zu erdulden hatte bzw. zu erzählen weiß, sondern mit der Passion des »unbekannten« Lagerinsassen. Auf ihn, auf den gewöhnlichen Häftling, der keine Armbinde trug, haben zum Beispiel die Capos herabgesehen. Während er hungerte, bis er verhungerte, ist es den Capos zumindest ernährungsmäßig nicht schlecht gegangen, ja so manchem Capo sogar viel besser als je zuvor in seinem ganzen Leben. Psychologisch, charakterologisch sind diese Capo-Typen daher auch eher so zu beurteilen wie die SS bzw. die Lagerwache; ihr hatten sich die in Frage stehenden Menschentypen psychologisch und soziologisch assimiliert, mit ihr hatten sie kollaboriert. Oft genug waren die Capos »schärfer« als die Lagerwache und stellten die ärgeren Peiniger der gewöhnlichen Häftlinge, schlugen z.B. manchmal viel mehr auf sie ein als selbst die SS. Wurden doch von vornherein im allgemeinen nur solche Häftlinge zu Capos gemacht, die zu derartigem Vorgehen eben taugten, bzw. sofort abgesetzt, sobald sie in diesem Sinne nicht »mittaten«.

Aktive und passive Auslese
     
    Der Außenstehende, der niemals selber in einem Konzentrationslager war, der Uneingeweihte, macht sich überhaupt gewöhnlich ein falsches Bild von den Zuständen im Lager, wenn er sich das Lagerleben gleichsam sentimental vorstellt und irgendwie verniedlicht, verharmlost sieht, insofern er vom harten gegenseitigen Kampf ums Dasein nichts ahnt, der gerade in den kleineren Lagern auch zwischen den Häftlingen tobte. In diesem Kampf um das tägliche Brot oder um die Lebenserhaltung und -rettung geht es nur allzu oft hart zu; schonungslos wird da für die eigenen
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