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... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition)

... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition)

Titel: ... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition)
Autoren: Viktor E. Frankl
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hätte, höchstpersönlich »an diesem Balken da« (er zeigte hin) aufzuhängen; stolz erklärte er, daß er als Blockältester lagerordnungsgemäß hierzu das Recht besitze.
    Mit den Schuhen, die wir grundsätzlich behalten durften, hatte es auch seine Bewandtnis. Wer halbwegs gutes Schuhwerk besaß, dem wurde es schließlich doch fortgenommen, dafür bekam er irgendein unpassendes Paar ausgefolgt. Wer aber dem wohlmeinend vorgebrachten Rat der reichlich interviewten alten Häftlingsgarde im Vorraum gefolgt war und seine schönen, hohen kanadischen Motorrad-Schnürstiefel gestutzt hatte, indem er den Schaft abschnitt und noch ein übriges zur Tarnung dieses »Sabotageaktes« tat, nämlich die Schnittstelle mit Seife verschmierte, der hatte nun nichts zu lachen: darauf hatte nämlich die SS anscheinend nur gewartet; denn jetzt ließ sie uns zur Kontrolle des Schuhwerks antreten. Wer beim Vorzeigen seiner Schuhe des Schaftabschneidens verdächtig war, mußte in einem kleinen Nebenraum antreten. Und nach einer Weile hörte man wieder, nun aber recht lange Zeit hindurch, das klatschende Geräusch des Ochsenziemers und das Brüllen von gemarterten Menschen.

Die ersten Reaktionen
     
    So zerrann eine Illusion nach der andern, die der eine oder andere von uns noch behalten haben mochte. Jetzt überkommt die meisten von uns aber ein irgendwie Unerwartetes: Galgenhumor! Wir wissen, wir haben nichts mehr zu verlieren außer diesem so lächerlich nackten Leben. Während schon die Brause fließt, rufen wir einander mehr oder weniger witzige, auf jeden Fall witzig sein sollende Bemerkungen zu und bemühen uns krampfhaft, vor allem über uns selbst, dann aber auch über einander uns lustig zu machen. Denn, nochmals: es kommt wirklich Wasser aus den Brausetrichtern!...
    Außer dem Galgenhumor beginnt ein anderes Gefühl uns zu beherrschen: Neugier. Ich persönlich kenne diese Einstellung als Grundhaltung einer Reaktion auf besondere Lebensumstände von einem andern Bereich her. Wann immer ich in Lebensgefahr war, also auch früher schon, etwa bei glimpflich abgelaufenen Abstürzen im Gebirge, beim Klettern, kannte ich in den betreffenden Sekunden (bzw. wahrscheinlich bloßen Bruchteilen von Sekunden) jeweils nur eine Form der Einstellung zum jäh ablaufenden äußeren Geschehen: Neugier – Neugier, ob ich mit dem Leben davonkommen werde oder nicht, mit einem Schädelgrundbruch oder andern Knochenbrüchen usw. Auch in Auschwitz herrschte diese gleichsam die Welt objektivierende und den Menschen distanzierende Stimmung fast kühler Neugier, die Stimmung des Zusehens und Zuwartens, auf die sich die Seele in solchem Augenblick zurückzieht und hinüberzuretten versucht. Neugierig waren wir, was nun alles geschehen würde und was die Folgen seien. Die Folgen z.B. davon, daß man, splitternackt und noch naß von der Brause, im Freien stehengelassen wird, in der Kälte des Spätherbstes. Und die Neugier wird in den nächsten Tagen von Überraschung abgelöst, z.B. von der Überraschung darüber, daß man eben keinen Schnupfen bekommt.
    Aber solche trivialen Überraschungen blühen dem Neuangekommenen unter den Häftlingen noch viele. Der Mediziner unter ihnen lernt vor allem eines: die Lehrbücher lügen! Irgendwo hieß es einmal, der Mensch könne es ohne Schlaf nicht länger als soundso viel Stunden aushalten. Ganz falsch! Selber hatte man sich immer eingebildet, man könne dies oder jenes nicht tun oder nicht sein lassen; man könne nicht schlafen, »wenn nicht...«, man könne nicht leben »ohne...«. In Auschwitz habe ich in der ersten Nacht in Stock-»Betten« geschlafen, die drei Etagen hatten, und auf jeder Etage (im Ausmaß von ungefähr 2 x 2 1/2 m) lagen, unmittelbar auf den Brettern, je neun Personen; und zum Zudecken hatte jede Etage, hatten also je neun Leute gemeinsam – zwei Decken. Wir konnten natürlich nur in Seitenlage liegen, aneinander gedrängt und ineinander gezwängt, was angesichts der Außenkälte und des Ungeheiztseins der Baracke wiederum nicht ungünstig war. Schuhe durften in diese sogenannten »Boxen« nicht mit hinaufgenommen werden, nur höchst illegalerweise benützte sie der eine oder andere trotz des daranhaftenden Kotes als Kopfkissenersatz. Ansonsten blieb uns nichts anderes übrig, als den Kopf auf den nach oben fast verrenkten Arm zu legen. Trotz allem nimmt der Schlaf das Bewußtsein hinweg und tilgt so auch die Schmerzhaftigkeit dieser Lage. Von weiteren derartigen Überraschungen darüber,
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