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Trojanische Pferde

Trojanische Pferde

Titel: Trojanische Pferde
Autoren: David Lender
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Gesichtszügen jedermann erkennen konnte, dass er kein Einheimischer war. Er war groß und muskulös und versuchte gar nicht erst, seinen zackigen, militärischen Gang zu verbergen. Die Hände in die Taschen seiner grünen Windjacke gestopft, durchquerte er eine Gasse, die zur Hauptstraße führte. Er trug eine lange hellbraune Hose und schwere schwarze Stiefel. Der von Dutzenden anderer Füße aufgewirbelte Staub hing in der unbewegten Morgenluft und setzte sich in den Nasenlöchern und im Hals ab. Vom wolkenlosen Himmel herab brannte die Sonne auf seinen Kopf.
Verdammte Wüste.
Der Mann hätte gern ausgespuckt, um sich von dem Staubgeschmack zu befreien, wusste aber, das dies nicht gern gesehen wurde vonder Mutawa, der islamischen Religionspolizei, in dieser fundamentalistischen nördlichen Provinz der einzige Vertreter des Gesetzes. Sein Blick huschte unablässig hin und her, nicht aus Furcht, sondern aus Gewohnheit – jahrelanges Söldnertraining hatte dieses Verhalten zu einem instinktiven Bestandteil seiner militärischen Ausrüstung gemacht.
    Um die Ecke einer Schlachterei biegend, betrat er die Hauptstraße. Unter den Rufen zahlreicher Ladeninhaber, die ihre Waren anpriesen, ging er an Männern in ihren arabischen Gewändern und Kopfbedeckungen vorbei, die in Gruppen vor den Läden auf der Straße saßen, sich unterhielten, gemeinsam aus Schüsseln aßen oder einfach meditierten. Der Duft von Gewürzen vermischte sich mit dem Geruch von bratendem Fleisch und stand, zusammen mit dem Rauch und dem Staub, in der erdrückenden Luft. Der Mann ging weiter, vorbei an einer Horde von mageren Araberkindern, um schließlich vor dem ersten Gebäude hinter der Moschee stehen zu bleiben. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass kein Mutawwa’iin zu sehen war, klopfte er an die Tür.
    Ein Araber in traditioneller Kleidung öffnete und trat dann zur Seite, um ihn einzulassen. Er zeigte auf ein Hinterzimmer, und der Mann ging hinein. In einer schwach beleuchteten Ecke saß Scheich bin Abdur. Der Mann nahm den Gewürzgeruch wahr, den die fünf anderen Männer im Zimmer über ihren Atem und ihre Schweißporen verströmten. Diese Männer würden stumm bleiben, dafür aber musste er sich auf eine stundenlange Ansprache von Bin Abdur gefasst machen. Es war ein Sonderpreis, den er al-Mujari in Rechnung stellte und auch verlangen konnte, weil es sonst kaum jemanden gab, der mit dieser Organisation ins Geschäft kommen wollte. Das damit verbundene Risiko war es seines Erachtens wert, eingegangen zu werden, wenn man, zusätzlich zum regulären Service, nichts weiter zu tun hatte, als sich von diesem Despoten hemmungslos vollquatschen zu lassen.
    Man kann davon leben. Und gar nicht mal schlecht.
    Bin Abdurs Gewand formte sich auf seinem Schoß zu einem Tisch, auf dem er einen Stapel Papiere abgelegt hatte. Er trug dietraditionelle Kopfbedeckung. Sein Bart war grau gesprenkelt und nach Art der konservativen Muslime ungestutzt. Er hatte ein zerfurchtes Gesicht und sonnenverbrannte, faltige und raue Haut; seine Augen funkelten vor Energie und Schläue. Er bedeutete dem Mann – der sich Habib nannte –, er möge sich setzen. Habib nahm in einer Ecke Platz.
    Der Scheich nahm seinen Koran von einem speziellen Gestell, das vor ihm stand, wickelte ihn in ein Tuch und winkte dem Mann, der Habib eingelassen hatte. Der Mann nahm das heilige Buch entgegen, um es auf einem Regalbrett abzulegen, das hoch oben in einer Ecke des Zimmers angebracht war. Der Scheich schloss die Augen und verharrte sinnend und in beinahe meditativer Haltung für volle zwei Minuten, in denen er seine Atmung beruhigte und sich entspannte.
Verdammt
. Der Scheich schien sich auf eine richtig lange Rede vorzubereiten. Er war nicht nur der Organisationschef der Terrorgruppe al-Mujari, sondern auch deren geistliches Oberhaupt. Al-Mujari, die führende terroristische Kraft in der muslimischen Welt, nachdem al-Quaida ihre beherrschende Stellung eingebüßt hatte.
    Der Scheich atmete aus und blickte zu Habib auf. »Sei gegrüßt.«
    »Danke, Scheich bin Abdur. Sei auch du gegrüßt.«
    »Es gibt keinen Gott außer Allah!«, sagte der Scheich.
    »La ilahah ilallah!«, wiederholten die anderen.
    »Wir leben in historischen Zeiten«, sagte Scheich bin Abdur. »Seit der Zeit des ersten Kalifen Abu Bakr, Nachfolger des Propheten Mohammed höchstselbst, sind die Brüder des schiitischen und des sunnitischen Islams nicht mehr vereinigt gewesen in ihrer Spiritualität und
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