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Trojanische Pferde

Trojanische Pferde

Titel: Trojanische Pferde
Autoren: David Lender
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Fragen ebenso distanziert betrachtet, wie es der gewöhnliche saudische Bürger wahrscheinlich tat, aber das konnte er sich nicht leisten als Finanz- und Wirtschaftsminister, als das mächtigste der zwölf Mitglieder des Ministerrats, der in der Hauptsache aus Mitgliedern der Königlichen Familie zusammengesetzt war, ernannt von seinem Cousin, König und Premierminister Abad.
Wenn ich nur diese Verantwortung nicht tragen müsste.
Die Worte kamen ihm wieder in den Sinn, die er vor fast zwei Jahrzehnten an König Abad und seine Ministerkollegen gerichtet hatte. Worte zu einem Zeitpunkt, da sie sich zum ersten Mal mit einem Haushaltsdefizit konfrontiert sahen, nachdem unter ihrer Führung die unvorstellbaren Ölprofite jahrzehntelang hemmungslos verjubelt worden waren: »Wir müssen uns auf ein Leben in einer normalen Wirtschaft umstellen.«
    Jassar fühlte den Druck hinter der Stirn, so früh am Tag schon. Ihm graute vor der anstehenden Sitzung des Ministerrats unterdem Vorsitz des Königs. »Es ist nicht nur unser Stolz, der auf dem Spiel steht, sondern letzten Endes auch unser Überleben. Ich werde einen Plan entwickeln, unsere Abhängigkeit von den Öleinnahmen zu vermindern und unsere Wirtschaft auf eine breitere Grundlage zu stellen«, hörte er sich vor Jahrzehnten sagen. Seine eigenen Worte.
    Er wandte sich vom Fenster ab, drückte den Rücken durch und blickte zum Beistelltisch, wo eine Fotografie seines Sohnes, Prinz Ibrahim, stand. Ibrahim war das älteste seiner zwölf Kinder gewesen, der Sohn von Nibmar, der ersten und liebevollsten seiner vier Ehefrauen, die immer noch seine Favoritin war. Der vertraute Holzrahmen um das Foto hatte Fettflecken an den Rändern und war an den Ecken abgerundet, so oft hatte er ihn schon in die Hand genommen.
Er wäre jetzt Mitte vierzig, alt genug für einen Posten als Stellvertretender Minister
. Jassar dachte an die Hoffnungen, die er in Ibrahim gesetzt hatte, und daran, was dieser für das saudische Volk hätte bewirken können. Studium in Harvard, in ihm vereint das kulturelle, religiöse und erzieherische Erbe Saudi-Arabiens mit der westlichen Denkweise ihres Hauptverbündeten, der Amerikaner.
Ibrahim wäre heute ein glänzender junger Mann
. Augenblicklich wandten sich Jassars Gedanken seinen alten Wider-sachern zu, den extremistischen schiitischen Fundamentalisten, die für den Tod seines Sohnes verantwortlich gemacht wurden. Und damit stand ihm sogleich das Bild des Scheichs bin Abdur vor Augen, des Mannes, den er für den Urheber des Mordanschlags hielt, den geistlichen und operativen Führer von al-Mujari, ihrer Terrororganisation.
Du bist genauso verantwortlich für unsere Situation wie die Regierungspolitik
. Jassar wusste, dass die Stimmung der zusehends unruhig werdenden saudischen Bevölkerung nicht nur von Haushaltsdefiziten und Rezessionen geprägt war, sondern auch von den fundamentalistischen Predigten des Scheichs.
Scheich bin Abdur, ein Mann …
 doch Jassars Gedankengang versiegte, als seine Erinnerungen von dem grundlegenden Konflikt in seinem Innern überlagert wurden, dem Widerstreit zwischen seinen islamischen Werten und seinen Rachegelüsten; zwischen der
Scharia
 – demislamischen Gesetz – und einem Hass bis aufs Blut; zwischen Selbstbeherrschung und Obsession.
    Als Nächstes dachte er an Sasha, die junge Konkubine, die er Ibrahim aus der Schweiz zugeführt hatte, drei Jahre vor dessen Tod. Sasha hatte Ibrahim mit der Wildheit ihres Stolzes und der Vitalität ihrer Lenden beherrscht. Sasha, die letzte Person, die seinen Sohn lebend gesehen hatte.
    Zeit, sich fertig zu machen.
Er drehte sich um und ging zu seinem Schreibtisch, sich auf einen langen Tag einrichtend, der mit Vorbereitungen für die Kabinettssitzung ausgefüllt sein würde. Wieder einmal blätterte er in seinen abgegriffenen, eselsohrigen Aktenmappen, deren oberste den Namen »J. Daniel Christian Youngblood III« trug, Akten über Institutionen oder Einzelpersonen, denen eine Rolle in Jassars Plänen von Rettung und Erlösung zugedacht war. Der Errettung des saudischen Volkes aus einer sich stetig verschärfenden Wirtschaftskrise. Und die überfällige Einlösung seines jahrzehntealten Versprechens, die Probleme zu lösen.

    2. J ULI, LAUFENDES J AHR . B URAIDAH , S AUDI -A RABIEN .
Der Mann, der durch das Geschäftsviertel von Buraidah streifte, zweihundert Kilometer nördlich von Riad gelegen, war davon überzeugt, dass trotz seiner dunklen Hautfarbe und den arabischen
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