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Trisomie so ich dir

Trisomie so ich dir

Titel: Trisomie so ich dir
Autoren: Dirk Bernemann
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die den Planeten leer fressen und sich, an ihn gewendet, eine gerechte Welt herbeten wollen. Man sollte die Leute wieder mit was konfrontieren, was sie völlig aus dem Konzept bringt, etwas, was in nichts Bestehendes hineinpasst, ein offensichtliches Wunder oder dergleichen.
    Heiliger Geist und so, das waren noch Zeiten, sinniert er. Rein marketingtechnisch läuft der Laden nämlich überhaupt nicht mehr rund. Er denkt über die so genannte »unbefleckte Empfängnis« nach und was für Wellen das heutzutage schlagen würde. Rein medial. Er wäre wieder ganz weit oben. Spiritueller Topseller. Gott schaut kurz eine Liste durch, und plötzlich weiß er, dass der neue Messias ein kleiner Junge mit Trisomie 21 sein wird. Er ist in dieser Nacht gezeugt worden, der Heilige Geist muss also nicht mehr zur Fernbefruchtung abkommandiert werden. Das neue Ding, Jesus 2.0, der behinderte Jesus. Gott ist gespannt, wer es dieses Mal wagt, seinen Sohn ans Kreuz zu brettern …

Zustimmungsstimmung
    Das Glück, so weiß Roy, ist wie ein gigantischer rosafarbener Elefant. Groß, leuchtend, stark und vor allem höchst selten. Manchmal reagiert es auch, wenn man es provoziert. Wenn man dem Elefanten ein paar Nüsse vor den Rüssel hält, so rein aus Provokationsgründen, kann es passieren, dass sich das Glück an einen erinnert. Elefanten haben ein Langzeitgedächtnis von sehr großer Tragweite, das Glück ist reiner Zufall. Vor allem aber ist es nicht haltbar. Glück ist kein Konservenprodukt, sondern ein beschissener Luxusartikel. Aber Roy will nicht damit aufhören, den Luxus in sein Leben zu zwingen, dem Leben diese kleinen Momente abzukaufen, die zu hohen Preisen gehandelt werden, aber immerhin stellt sich danach Glück ein. Und darauf kommt es schließlich an, denkt Roy, die kleinen Momente des Glücks dem großen Scheiß, der sich Leben nennt, gegenüberzustellen und zu hoffen, dass die Rechnung irgendwie aufgeht. Auf der richtigen Seite sein, nämlich da, wo auch der Elefant kackt.
    Beim zufälligen Entlanggehen auf einem Supermarktparkplatz können einem schon mal Mysterien begegnen.
    Mysterien, die einem das eigene Herz zu einer puddingartigen, unkontrollierbaren Masse werden lassen, die in einem Dinge anstellt, deren Auswirkungen man nicht einschätzen kann. Und mit Mysterien kennt Roy sich aus. Dieses blöde, verfressene, fette, schwabbelige Puddingherz, das immer Hunger hat und kaum was zu Essen übrig lässt, wenn man es mal zu Tisch bittet und seinen Fresstrieb zulässt. Das Herz ist nicht satt, ist es wahrscheinlich nie. Roy hat keine Ahnung, wie viel Gefühl es braucht, um sein fresssüchtiges Herz zu sättigen.
    Er kniet zwischen zwei Autos, als er sie auf dem Parkplatz direkt gegenüber sieht, wie sie mit einer engelsgleichen Eleganz aus ihrem Fahrzeug schwebt und sofort eine vanillige Duftwolke in die Atmosphäre gießt, die nur von guten, gesunden und intakten Menschen ausgesendet werden kann. Roy ist so eine Art Trüffelschwein der Liebe. In ihm ist irgendein Trieb zugange, der von ihm verlangt, Zuneigung zu suchen, sein Glück herauszufordern und damit sein fettes, pumpendes Herz zu ernähren. Das Herz ist ständig auf der Suche, meistens ganz unten am Boden.
    Die Frau glänzt. Es sieht aus wie ein Werbespot für Shampoo. Die Frau bringt mit ihren zierlichen Händen ihre Frisur in Form, und dazu könnte jetzt ein lässiger Beat pumpen, der jeden ihrer folgenden Schritte vertont. Kein erkennbarer Makel, die Haut von einer Farbe und Straffheit, die kein Designer der Welt hätte erfinden können. Sie lächelt während sie schwebt, ja lächeln und schweben, dass scheint sie zu können. Fast wirkt es, als berührten ihre Turnschuhe nicht den Boden. Nur ein sanftes Geräusch, das sie mit dem Gewicht ihrer überaus wohlkoordinierten Figur auf den Asphalt steppt, beweist, dass es sich hier nicht um einen Engel, sondern um eine Frau handelt.
    Weiße Turnschuhe, blonde Haare, unglaublich, eine unglaubliche Frau bohrt sich wie Sonnenstrahlen durch geschlossene Augen in Roys Herz, das kurz aufhört zu schlagen, um dann umso schneller seine Schlagfrequenz fortzusetzen. Dieses Phänomen des überschnell schlagenden Herzens ist ihm ja bereits bekannt, der kleine Kontrollverlust zwischendurch, der ein Leben erst richtig gut macht. Und der wird ja nur in dieser Deutlichkeit wahrgenommen, weil das Leben mit dieser Grundtristesse unterwegs ist.
    Die blonde Vanillefrau hat gerade auf dem Parkplatz eingeparkt und geht jetzt langsam auf
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