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Traveler - Roman

Traveler - Roman

Titel: Traveler - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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seinen militärischen Haarschnitt und seine Brille mit Stahlrand wirkte er diszipliniert und körperlich fit wie ein Ingenieur, der am Wochenende Marathonläufe absolviert.
    »Auf geht’s«, sagte Loutka.
    »Nein.«
    »Maya ist auf dem Weg zu ihrem Hotel. Ich glaube nicht, dass Thorn heute noch weiteren Besuch bekommen wird.«
    »Sie kennen diese Leute nicht. Ich schon. Sie verhalten sich absichtlich unberechenbar. Vielleicht beschließt Thorn, das Haus zu verlassen. Vielleicht beschließt Maya zurückzukommen. Wir warten noch fünf Minuten ab, ob sich etwas tut.«
    Boone senkte das NightScope, behielt aber die Straße im Blick. Seit sechs Jahren arbeitete er für die Bruderschaft, eine kleine Gruppe Männer verschiedener Nationalität, geeint durch ein und dieselbe Zukunftsvision. Die Bruderschaft – nur von ihren Feinden Tabula genannt – hatte das Ziel, alle Traveler und Harlequins zu vernichten.
    Boone war der Verbindungsmann zwischen der Bruderschaft und ihren Söldnern. Er kam mit Leuten wie dem Serben oder Kommissar Loutka problemlos zurecht. Ein Söldner wollte entweder Geld oder einen Gefallen erwiesen bekommen. Zuerst verhandelte man über den Lohn, dann überlegte man sich, ob man ihn überhaupt zahlen würde.
    Obwohl Boone ein großzügiges Gehalt von der Bruderschaft bezog, hatte er nie das Gefühl, ein Söldner zu sein. Vor zwei Jahren war ihm gestattet worden, ein mehrbändiges Werk mit dem Titel Das Wissen zu lesen, das ihm tiefere Einblicke in die Ziele und die Philosophie der Bruderschaft verschaffte. Das Wissen verdeutlichte Boone, dass er an einer historischen Schlacht gegen die Mächte der Unordnung beteiligt war. Die
Bruderschaft und deren Verbündete waren kurz davor, eine perfekt kontrollierte Gesellschaft zu erschaffen, die aber nicht von Dauer sein würde, wenn es Travelern gelang, diese Gesellschaft zu verlassen und nach ihrer Rückkehr allgemein akzeptierte Ansichten in Frage zu stellen. Frieden und Wohlstand würde es nur geben, wenn die Menschen aufhörten, immer wieder neue Fragen zu stellen, und sich stattdessen mit den vorhandenen Antworten zufrieden gaben.
    Die Traveler richteten Chaos auf der Welt an, dennoch hasste Boone sie nicht. Traveler besaßen die angeborene Gabe zu transzendieren; sie waren schuldlos an diesem sonderbaren Erbe. Bei den Harlequins war es etwas anderes. Obwohl es Harlequin-Familien gab, traf jeder Mann und jede Frau selbst die Entscheidung, die Traveler zu beschützen. Ihr Prinzip der absichtlichen Zufälligkeit widersprach den Regeln, die Boones Leben bestimmten.
    Vor einigen Jahren war Boone nach Hongkong gereist, um die Tötung eines Harlequins namens Crow zu organisieren. Beim Durchsuchen der Leiche war ihm außer den üblichen Waffen und gefälschten Ausweisen ein Apparat in die Hände gefallen, der Zufallszahlengenerator hieß. Der ZZG war ein Minicomputer, bei dem auf Knopfdruck eine nach dem Zufallsprinzip erzeugte Zahl auf dem Display erschien. Manchmal benutzte ein Harlequin einen ZZG, um Entscheidungen zu treffen. Eine ungerade Zahl bedeutete ja, eine gerade nein. Drück auf den Knopf, und der ZZG entscheidet, durch welche Tür du gehst.
    Boone erinnerte sich, wie er in seinem Hotelzimmer gesessen und den Apparat genau untersucht hatte. Wie konnte man ein solches Leben führen? Seiner Meinung nach sollte jeder, der sich von Zufallszahlen durchs Leben führen ließ, zur Strecke gebracht werden. Ordnung und Disziplin waren die Werte, die die Zivilisation vor dem Zerfall bewahrten. Man brauchte nur den Blick auf die Peripherie der Gesellschaft zu
lenken, um zu erkennen, was geschehen würde, wenn alle Menschen es dem Zufall überlassen würden, die Entscheidungen in ihrem Leben zu fällen.
    Zwei Minuten waren vergangen. Er drückte auf einen Knopf an seiner Armbanduhr, und schon leuchteten nacheinander seine Pulsfrequenz und Körpertemperatur auf. Obwohl er sich in einer Stresssituation befand, schlug sein Herz, wie er mit Befriedigung feststellte, nur sechs Schläge schneller als üblich. Er wusste, wie hoch sein Pulsschlag im Ruhezustand und bei körperlicher Anstrengung war, genauso wie er sich mit der Höhe seines Körperfettwerts, seines Cholesterinspiegels und seines täglichen Kalorienverbrauchs auskannte.
    Ein Streichholz wurde angerissen, und ein paar Sekunden später roch er Tabakqualm. Er drehte sich um und sah den Serben eine Zigarette rauchen.
    »Mach sie aus.«
    »Wieso?«
    »Ich atme nicht gern giftigen Rauch.«
    Der Serbe grinste.
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