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Traveblut

Traveblut

Titel: Traveblut
Autoren: Jobst Schlennstedt
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Armen, am Rücken, an den Fußsohlen und zwischen den Beinen. Sie war in diesem Moment nicht zärtlich, eher wie eine Mutter, die ihr Kind sauber schrubbte. Wie viel hatte der Junge bloß getrunken, dass er überhaupt keine Reaktion zeigte?
    Sie seifte jede Stelle seines Körpers ein und wusch ihm sogar die Haare. Als sie fertig war, ließ sie das Wasser aus der Badewanne ab, legte ein großes Handtuch auf den Boden und fasste Jimmy an den Armen. Mühevoll zog sie ihn aus der Wanne. Sie stöhnte und atmete schwer, aber sie schaffte es. Wie gut, dass sie trotz ihres Alters in einem trainierten Zustand war. Anschließend trocknete sie ihn behutsam ab, packte das große Handtuch an den Enden und zog ihn aus dem Badezimmer über den Parkettboden in der Diele bis ins Schlafzimmer. Genau dort wollte sie ihn haben.
    Mit einem letzten Kraftakt hob sie ihn auf ihr frisch bezogenes Bett. Sein Anblick erregte sie sofort. Der braune Körper auf dem reinen Weiß der Bettwäsche. Jimmy war doch noch immer wunderschön.
    Langsam begann sie, sich ebenfalls auszuziehen. Als sie neben ihm lag, schloss sie die Augen. Ihre Hände wanderten zaghaft über seinen Körper. Genau wie damals.
    Sie bemerkte die Veränderung nicht. Zu sehr war sie mit sich selbst und ihrer Befriedigung beschäftigt. Als sich Jimmy Vosbergs Augen langsam öffneten und er einen ersten klaren Gedanken nach mehr als zwölf Stunden Schlaf fassen konnte, wusste er nicht, wo er war und was mit ihm geschah.

27

    Andresen raste mit Blaulicht durch den Kreisverkehr am Lindenplatz in Richtung Holstentor. Er fuhr an Lübecks Wahrzeichen vorbei und bog am Ende der Straße rechts ab. Über das Kopfsteinpflaster rumpelte er weiter, entlang am Malerwinkel mit seinen kleinen, pittoresken Ganghäusern bis zur Hartengrube.
    Das Haus, zu dem er wollte, befand sich auf mittlerer Höhe der kleinen Gasse, die sich vom Dom hinunter bis zur Obertrave erstreckte. Er wusste es, weil er eben noch einmal im Präsidium angerufen hatte. Langsam fuhr er an dem Haus vorbei und parkte den Volvo ein Stück weiter oben im Schatten der beiden wuchtigen Kirchturmspitzen.
    Rasch ging er auf die Tür des kleinen Altstadthauses zu. »Gisela Sachs« las er auf dem Klingelschild.
    Der Entschluss, zu ihr zu fahren, war spontan gewesen. Eine kleine Bemerkung von ihr hatte sich in seinem Unterbewusstsein festgekrallt und sich an die Oberfläche gearbeitet. Erst nur langsam, dann mit Macht. Er war bereits in die Roonstraße eingebogen und hatte nach einem Parkplatz vor Karin Buschs Haus gesucht, als Gisela Sachs' Worte plötzlich in seinen Ohren klangen:
    Was glauben Sie, welche Panikattacken ich seit dem Tod von Brigitte Jochimsen durchlitten habe.
    Das Adrenalin in seinem Körper hatte ihn zittern lassen. Sie waren anfangs von einem Unfall ausgegangen, kein Wort eines gewaltsamen Todes war nach außen gedrungen. Weshalb hatte Gisela Sachs also Panikattacken erlitten? Es konnte nur eine Erklärung geben. Sie hatte geahnt, dass Jimmy Vosberg seinen Rachefeldzug begonnen hatte, weil sie selbst es gewesen war, die Vosberg als Schüler missbraucht hatte. Nur sie hatte zu diesem Zeitpunkt wissen können, was Vosberg plante. Und sie hatte sofort verstanden, dass sie das letzte Opfer von Jimmy Vosberg sein würde.
    Andresen war unschlüssig, wie er vorgehen sollte, entschied sich schließlich aber dafür, einfach zu klingeln. Er wartete eine Weile, doch es tat sich nichts. Er drückte ein weiteres Mal auf den Klingelknopf. Wieder nichts. War er zu spät gekommen?
    Er trat einige Schritte zurück und betrachtete das Haus. Es ähnelte seinem eigenen Altstadthaus, war allerdings um einiges kleiner. Sein eigenes, dachte er kopfschüttelnd. Seit vergangener Woche gehörte ihm das Haus gar nicht mehr. Stattdessen besaß er jetzt ein Haus mit Meerblick in Brodten. Gemeinsam mit einer Frau, die er vor wenigen Tagen mit seiner Kollegin betrogen hatte.
    Er verdrängte die Gedanken und ließ seinen Blick weiter kreisen. Nichts zu sehen von einem rachsüchtigen Mörder und einer pädophilen Schulleiterin. Ihm fielen die beiden Fenster im Erdgeschoss auf. Stand das linke nicht ein wenig vor? Er ging näher heran und sah, dass es nur angelehnt war. Vorsichtig drückte er es auf und beugte sich nach vorn, um ins Innere des Hauses sehen zu können.
    Er blickte die Straße entlang. Leichter Nieselregen hatte eingesetzt. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Die Hartengrube wirkte wie ausgestorben.
    Noch einmal
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