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Traumtrunken

Traumtrunken

Titel: Traumtrunken
Autoren: Kathrin Schachtschabel
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Gelbling.
    „Es ist ein Kanarienvogel“, sagte Atze stolz. „Er spricht französisch!“
    „Ich weiß, meine Oma hatte auch einen.“
    „Einen französischen Kanarienvogel?“
    „Der von meiner Oma hat überhaupt nicht gesprochen.“
    Sie starrte den Vogel an. Ich weiß, du kannst nichts dafür. Aber du bist zur falschen Zeit am falschen Ort.
    Dann drehte sie sich zu Atze um: „Wirklich süß.“ Und ging in die Küche.
    Von nun an würde sie jeden Tag daran denken müssen, dass sie keine Kinder bekommen sollte. Ihre Kehle zog sich zu und das tat weh.
     
    ***

Natürlich hatte sie anfangs überlegt, Atze das Kind einfach unterzujubeln. War es erst einmal passiert, konnte er nichts mehr dagegen sagen.
    Hielt sie der Stolz davon ab?
    Atze wollte mit ihr kein Kind, das stand fest. Sie zögerte diesen Schritt hinaus, dachte immer wieder darüber nach, aber sie konnte zu keiner Entscheidung kommen.
    Wenn Atze nicht da war, verbrachte Michaela die Nachmittage am Spielplatz.
    Doris hatte sie gefragt, ob es ihr besser geht, weil sie jetzt wieder pünktlich Feierabend machen würde. Da hat Michaela ihr von dem Vogel erzählt, den Atze ihr mitgebracht hatte. Wie niedlich der doch war und dass er sie auf andere Gedanken brachte. Und das war noch nicht einmal gelogen, denn tatsächlich wäre ihr ohne diesen Gelbling ihre ausweglose Situation niemals so stark bewusst geworden.
    Doris hatte sie zwar etwas verwundert angesehen, aber schließlich schien sie es ihr geglaubt zu haben und freute sich für sie.
    Gleich Montagmorgen, wenn Atze das Haus vor ihr verließ, stellte Michaela den Käfig auf den Balkon, damit sie so wenig wie möglich von dem Vogel mitbekam. Dann füllte sie seinen Futternapf randvoll und machte das Wasser frisch. Das musste für die Woche reichen.
    Auch wenn die Nächte langsam kühler wurden, Michaela ließ den Vogel einfach draußen stehen.
    Freitagmorgen holte sie ihn hinein, machte die Näpfe frisch und hängte ihm irgendeine Leckerei in den Käfig.
    Falls Atze mal früher als sie zu Hause war.
    Freitag war auch der Tag, an dem Michaela nicht zum Spielplatz ging. Einmal hatte sie auf dem Weg zum Einkaufen kurz vorbeigesehen, weil sie Angst hatte, etwas zu versäumen. Aber außer den Schulkindern, die jeden Tag allein herkamen, war keiner dort gewesen.
    An den anderen Wochentagen kamen immer wieder die gleichen Eltern mit ihren Kindern zum Spielplatz. Nach einigen Wochen kannte Michaela die Namen der Kinder auswendig.
    Wenn eine Mutter gerade Zeitung las oder ein kleineres Geschwisterkind stillte, ging Michaela zu den rufenden Kindern hinüber und half ihnen: Den Kuchen heil aus der Form zu bekommen zum Beispiel oder die Hände zu reichen, damit der Sprung aus dem Holzhäuschen gelang.
    Michaela wartete geradezu darauf, dass irgendjemand ihre Hilfe benötigte. Die Kinder, die nach ihren Müttern gerufen hatten, sahen unwillkürlich mit der Zeit erwartungsvoll zu Michaela hinüber und Michaela war sich sicher, dass die eine oder andere Mutter manchmal froh darüber war. Auch wenn sie am Anfang recht argwöhnisch betrachtet wurde.
    Michaela genoss es, gebraucht zu werden. Den ganzen Abend zehrte sie von den Erlebnissen auf dem Spielplatz. Endlich hatte sie wieder Freude am Leben.
     
    ***

Irgendwann wurden die Vorwürfe weniger. Atze wusste doch, dass das mit dem Vogel eine gute Idee gewesen war!
    Michaela brauchte eben irgendetwas, wofür sie verantwortlich war. Das musste nicht unbedingt ein Kind sein. Man konnte es auch einfacher haben.
    Natürlich, sie war skeptisch gewesen am Anfang. Aber er hatte ihr Zeit gegeben und spürte immer mehr ihre Ausgeglichenheit.
    Am Wochenende unternahmen sie lange Spaziergänge, bei denen Michaela zwar meistens schwieg, aber irgendwie glücklich aussah. Oder sie sahen sich Filme an, wenn das Wetter zu schlecht war, um nach draußen zu gehen. Wie in ihrer Anfangszeit. Das beruhigte Atze.
    Babys waren kein Thema mehr. Und Atze konnte seinen Job behalten. Was wollte er mehr? Seine ganzen Probleme hatten sich in Luft aufgelöst.
    Vor ein paar Wochen noch war er drauf und dran gewesen, zu Frau Gehlbach zu gehen, weil er sich keinen Rat mehr wusste.
    Und jetzt? Jetzt planten sie für Weihnachten sogar einen Urlaub auf den Kanaren. Atze war wirklich erleichtert.
     
    ***

Mitte November kam der erste Schnee. Der Spielplatz ruhte einsam und verlassen, stattdessen tummelten sich die Kinder der Neubausiedlung auf dem Schlittenberg nebenan.
    Michaela hatte Spaß. Immer
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