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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle
Autoren: Kurd Laßwitz
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die Unsterblichkeit; von ihr habe ich noch gar nichts abgesetzt, denn sie wird jetzt künstlich gemacht. Und jetzt, lieber Doktor, leben Sie wohl! Diese drei Sachen will ich Ihnen hier lassen. Betrachten Sie alles genau, aber mit Vorsicht, die Kategorien, die Stimmungen und die Ideale. Nahrung brauchen sie nicht; sollten die Kategorien zu unruhig werden, so setzen Sie sie auf eines Ihrer Manuskripte, um sie etwas auszuhungern. Und hier haben Sie noch eine Zugabe.“
    Er setzte ihm ein Fläschchen hin, in welchem sich ein Figürchen befand, wie die kartesianischen Teufelchen.
    „Was ist das?“ fragte der Philosoph, der vor Überraschung kaum zur Besinnung kam.
    „Der höhere Blödsinn“, antwortete der Psychotom. Damit war er verschwunden.
    Schulze griff sich an den Kopf, stand auf, ging hin und her – nein, er träumte nicht. Er dachte an Betrug, vielleicht eine neue Methode von Langfingern, sich einzuschleichen, doch nichts fehlte im Zimmer. Da standen Kästchen, Büchse, Fläschchen, da lagen auch die Würstchen, welche Raumproben enthalten sollten. Auf dem Tintenfaß saß noch die Negation. Wie fatal! Der Psychotom hatte vergessen, sie ihm wieder einzusetzen. Doch er wird wohl wiederkommen!
    Schulze ließ sie also sitzen, wo sie saß, zumal er keinerlei Unbehagen von ihrem Fehlen verspürte. Kaum getraute er sich die Seelenpräparate anzufassen und lüftete nur zögernd einen Augenblick den Deckel der Büchse mit den Stimmungen. Plötzlich sprang er auf. Er wollte hinaus, in der freien Luft sich zu erholen. Indem er die Treppe hinabstieg, stolperte er über den Hauskater und kam beinahe zu Fall. Er freute sich herzlich, dem guten Tierchen nicht wehe getan zu haben.
    Als er aus der Tür trat und seine Handschuhe anziehen wollte, bemerkte er an der Hand ein Bläschen aus der Büchse der Stimmungen, das unbemerkt dort kleben geblieben war. Er erkannte darauf die Auszeichnung Nr. 1 und erinnerte sich, daß der erste Name in der Liste die Zufriedenheit gewesen sei. Nun, er war auch ganz zufrieden und steckte das Kügelchen in seine Streichholzbüchse.
    Es war Tauwetter; der halbzerflossene Schnee lag naßkalt und schmutzig auf dem holperigen Pflaster, daß der Fuß bei jedem Tritt ausglitt. Der Nebel hielt das letzte Licht der Dämmerung ab, und da die Laternen noch nicht brannten, so konnte man nicht einmal recht sehen, wohin man trat. Schulze bat einen Müllerburschen um Entschuldigung, daß er an ihn angerannt sei, und freute sich über die Mehlspuren an seinem dunklen Überzieher, die im Nebel zu einem angenehmen Kleister zerflossen. Der Stadtrat Billig begegnete ihm, den er oft durch Tadel städtischer Verwaltungsmaßregeln geärgert hatte. Schulze sprach ihn an, begleitete ihn.
    „Ein Hundewetter“, sagte der Stadtrat. „Diesen Schnee wieder hinaus zu schaffen, kostet der Stadt –“
    „Freilich“, unterbrach ihn Schulze, „das bringt Geld unter die Leute, aber es ist auch ebenso schön, wenn er liegen bleibt. Die Unebenheiten des Pflasters erhöhen durchaus den Reiz der Gegend, und ihre Ausfüllung mit Schnee ist ein sehr belehrendes Bild für die ausgleichende Tätigkeit der Natur. Jeder Patriot kann es nur billigen, wenn der Naturzustand unserer Stadt erhalten bleibt.“
    „Ich will nicht hoffen, Herr Doktor, daß Sie Ihren Spott –“
    „Herr Stadtrat, ich versichere Sie, daß ich mich durchaus in unseren Verhältnissen wohl fühle. Ich wünschte, jeder Bürger sähe die Notwendigkeit ein, daß die Beschwerden des Weges als Erziehungsmittel der Menschheit zu pflegen sind. Diese Dunkelheit der Straßen schärft die Sinne der Fußgänger und Kutscher, sie kommt nicht bloß der Stadtkasse zugute, sondern unter Umständen auch den Ärzten und Chirurgen. Wie viel Eitelkeit, wie viel Putzsucht, wie viel unnötiger Toilettenaufwand werden dadurch unterdrückt, daß unsere Damen von vier Uhr an nicht mehr gesehen werden können. Wenn ich Stadtverordneter wäre –“
    „Sie müssen es werden, Herr Doktor, Ihre Hand darauf!“
    „Gewiß! Es gibt keine Vorlage, der ich nicht zustimme.“
    „Auch dem neuen Aufschlage zur Kommunalsteuer?“
    „Selbstverständlich. Es kann nie Steuern genug geben, denn nichts ist erhebender, nichts erfreulicher, nichts beglückender, als sein Hab und Gut zum Besten der Gemeinsamkeit zu opfern.“
    „Bravo! Bravo! Ich gehe an meinen Stammtisch in der ‚Roten Tulpe’; ich sichere Ihnen zehn Stimmen. Auf Wiedersehen!“
    Der Stadtrat empfahl sich begeistert. Auch
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