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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle
Autoren: Kurd Laßwitz
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erhobener Stimme fort, „kann niemand wissen, weder Sie noch ich. Denn die ‚Denkenden’ sind so gut wie wir beide nur ein winziges Fünkchen des unendlichen Geistes, der sich in unendlichen Gestalten verkörpert. Aber wie das verschwindende Stückchen Welt, auf dem wir stehen, entstanden ist, das kann ich Ihnen sagen. Ihre Welt ist in der Tat hohl und mit Luft gefüllt, und ihre Schale ist nicht dicker, als Herr Glagli angibt. Sie wird allerdings einmal platzen, aber darüber können noch Millionen Ihrer Jahre vergehen. (Lautes Bravo der Glaglianer.) Es ist auch richtig, daß es noch viele bewohnte Welten gibt, nur sind es nicht lauter Hohlkugeln, sondern viel millionenmal größere Steinmassen, bewohnt von Wesen wie ich. Und Fett und Alkali sind weder die einzigen, noch sind sie überhaupt Elemente, sondern es sind komplizierte Stoffe, die nur zufällig für diese Ihre kleine Seifenblasenwelt eine Rolle spielen.“
    „Seifenblasenwelt?“ Ein Sturm des Unwillens erhob sich von allen Seiten.
    „Ja“, rief ich mutig, ohne auf Onkel Wendels Zerren und Zupfen zu achten, „ja, Ihre Welt ist weiter nichts als eine Seifenblase, die der Mund meines kleinen Söhnchens mittels eines Strohhalmes geblasen hat, und die der Finger eines Kindes im nächsten Augenblicke zerdrücken kann. Freilich ist, gegen diese Welt gehalten, mein Kind ein Riese –“
    „Unerhört! Blasphemie! Wahnsinn!“ schallte es durcheinander, und Tintenfässer flogen um meinen Kopf. „Er ist verrückt! Die Welt soll eine Seifenblase sein? Sein Sohn soll sie geblasen haben! Er gibt sich als Vater des Weltschöpfers aus! Steinigt ihn! Siedet ihn!“
    „Der Wahrheit die Ehre!“ schrie ich. „Beide Parteien haben unrecht. Die Welt hat mein Sohn nicht geschaffen, er hat nur diese Kugel geblasen, innerhalb der Welt, nach den Gesetzen, die uns allen übergeordnet sind. Er weiß nichts von Euch, und Ihr könnt nichts wissen von unserer Welt. Ich bin ein Mensch, ich bin hundertmillionenmal so groß und zehnbillionenmal so alt als Ihr! Laßt Glagli los! Was streitet Ihr um Dinge, die Ihr nicht entscheiden könnt?“
    „Nieder mit Glagli! Nieder mit dem ‚Menschen’! Wir werden ja sehen, ob Du die Welt mit dem kleinen Finger zerdrücken kannst! Ruf doch Dein Söhnchen!“ So raste es um mich her, während man Glagli und mich nach dem Bottich mit siedendem Glycerin hinzerrte.
    Sengende Glut strömte mir entgegen. Vergebens setzte ich mich zur Wehr. „Hinein mit ihm!“ schrie die Menge. „Wir werden ja sehen, wer zuerst platzt!“ Heiße Dämpfe umhüllten, ein brennender Schmerz durchzuckte mich und –
    Ich saß neben Onkel Wendel am Gartentisch. Die Seifenblase schwebte noch an derselben Stelle.
    „Was war das?“ fragte ich erstaunt und erschüttert.
    „Eine hunderttausendstel Sekunde! Auf der Erde hat sich noch nichts verändert. Hab’ noch rechtzeitig meine Skala verschoben, hätten dich sonst in Glycerin gesotten. Hm? Soll ich noch die Entdeckung des Mikrogens veröffentlichen? Wie? Meinst jetzt, daß sie Dir’s glauben werden? Erklär’s ihnen doch!“
    Onkel Wendel lachte, und die Seifenblase zerplatzte. Mein Söhnchen blies eine neue.

 
Psychotomie
     
    Es war einmal ein Privatdozent der Philosophie, der hieß, um allen Verwechslungen vorzubeugen, Dr. Schulze. Eines Nachmittags saß er an seinem Schreibtische und konnte seine Gedanken nicht ins reine bringen; das hätte zwar weiter nichts geschadet, wenn er sie nur im Konzept gehabt hätte, aber das war ihm gerade ausgegangen. Da hatte nun ein Autor Schulzen wieder einmal gründlich mißverstanden! Das kommt von diesem Widerspruchsgeist, der sich überall breitmacht, von dieser prinzipiellen Unzufriedenheit, die nichts anderes gelten lassen will als die eigene Meinung! Wollten doch die Leute endlich einsehen, daß Überzeugung den größten Sieg feiert, wenn sie sich der besseren aufopfert! Aber wer kann die Gelehrten überzeugen? Sollte es nicht ein Mittel geben, den störenden Widerspruch unwirksam zu machen? Die Wahrheit redet ja für sich selbst, könnte man nur erst das Beharrungsvermögen des Irrtums brechen! Dann würde auch Schulzes Theorie von den Gefühlen bald anerkannt sein. Wenn er nur eine Methode gehabt hätte! Das Feinste ist bekanntlich die experimentelle Methode. Es ist eine Kleinigkeit, damit die Weite des Bewußtseins zu messen, warum nicht auch die Tiefe eines Gefühles oder die Höhe eines Ideals?
    Während er so nachdachte, daß man ordentlich das Gehirn
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