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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle
Autoren: Kurd Laßwitz
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Erstaunen sagte dieser:
    „Allerdings ist das Nichts durchaus positiv, insofern ich es nämlich nicht verneinen kann. Was aber Ihre Abhandlung betrifft, an die ich mit dem größten Vergnügen denke, so kann ich nur sagen, daß Sie ebenso recht haben wie Weißschon, weil überhaupt alle Urteile aller Menschen unter allen Umständen bejahend sind.“
    Da stand Oberwasser indigniert auf und ging in der Überzeugung fort, daß Schulze zu viel getrunken habe. Das war nun zwar nicht der Fall, aber es kam noch, als auch die übrigen Kollegen sich davongemacht hatten. So oft ihn nämlich der Kellner fragte, ob er noch ein Glas befehle, war er nicht in der Lage, nein zu sagen; außerdem schmeckte es ihm vorzüglich. Mit den Vorschlägen der Speisekarte ging es ihm ebenso, leider aber auch beim Bezahlen, da er auf jede Kontrolle verzichtete. Es war spät geworden, als er nach Hause ging, und unterwegs hatte er noch einen kleinen Aufenthalt mit dem Nachtwächter, weil er behauptete, es gäbe nichts Schöneres, als in einer naßkalten Schneenacht mit dem Spieße in der Hand in einer Mauerecke zu lehnen.
    Als Schulze spät am Vormittage erwachte und sich vergeblich bemühte, das gestern Erlebte in sein Gedächtnis zurückzurufen, bemerkte er plötzlich auf dem Stuhle vor seinem Bett den Kater seiner Wirtin, der ihn mit ernster und, wie es schien, mißbilligender Miene betrachtete. Aber wie erschrak er, als er zwischen den Vorderpfoten des Tieres seine Kategorie der Negation entdeckte, die dasselbe offenbar für einen Vogel oder dergleichen gehalten und gefangen hatte. Unwillkürlich machte er eine Bewegung; da begann plötzlich der Kater mit vernehmlicher Stimme zu sprechen:
    „Bleiben Sie ruhig liegen, sehr geehrter Herr Doktor, wundern Sie sich auch nicht, daß ich rede. Meine berühmten belletristisch-epischen Vorfahren hatten dazu geringere Motive als ich, denn ich habe in dieser Nacht sämtliche Kategorien auf Ihrem Schreibtische gefressen.“
    „Beim heiligen Immanuel!“ schrie Schulze. „Wie viel waren es?“
    „Ich habe sie leider nicht gezählt“ – Schulze seufzte tief, während der Kater fortfuhr – „und bedaure in der Tat, daß somit die berühmte Streitfrage über die Zahl der Kategorien nicht geschlichtet werden kann. Aber da ich nun einmal den Verstand, wenn auch nicht mit Löffeln, so doch in ausreichender Portion gefressen habe, so erlaube ich mir, Sie ganz ergebenst darauf aufmerksam zu machen, daß Sie versäumt haben, Herrn Professor Steinschleifer zur geologischen Exkursion abzuholen, daß Sie jetzt um zwölf Uhr nicht auf der Bibliothek sind, endlich auch die Einladung zum Frühstück nicht abgesagt haben.“
    Schulze nickte wehmütig. „Leider, leider, die Herren werden es mir sehr übelnehmen. Aber geben Sie mir, lieber Herr Hinze, meine Kategorie der Negation wieder.“
    „Geduld“, sagte der Kater, „ich will Ihnen nur noch bemerken, daß Sie Herrn Oberwasser, dessen Stimme in der Fakultät bekanntlich ausschlaggebend ist, schwer beleidigt haben. Mit dem Extra-Ordinarius wird es nun wohl wieder nichts sein. Daß Ihr Feuerzeug verloren, Ihre Börse leer und Ihr Überzieher ruiniert ist, das sind dem gegenüber nur kleinere Annehmlichkeiten. Außerdem sind hier noch einige Briefe, die ich Ihnen nicht vorenthalten will.“
    „Immer zu“, sagte Schulze, ergeben in sein Schicksal.
    „Herr Stadtrat Billig schreibt Ihnen, daß Ihre Wahl zum Stadtverordneten gesichert sei“ – hier stieß Schulze einen Schrei des Entsetzens aus – „und daß Ihre opfersinnigen Äußerungen ihn ermutigt hätten, in der Einschätzungs-Kommission Ihre Erhöhung um drei Steuerklassen vorzuschlagen. Sodann ist hier eine Vorladung, betreffend Vernehmung in Sachen Beleidigung des Nachtwächters Warmbier. Weiterhin ist hier ein dickbändiges Manuskript: ‚Herzensnacht und Strahlenmacht’, Novelle von Linolinde v. Zwinkerwitz, und von derselben Hand ein ebenso starker Essay: ‚Über die Unsterblichkeit der Seele, Gedanken einer Lebendigen’. Dazu ein Briefchen: ‚Teurer Freund! Nicht wahr, Sie lesen noch heute? Ort und Stunde wie gestern, wo Ihr Urteil zitternd erwartet L. v. Z.’“
    Schulze rang die Hände.
    „Endlich“, sagte der Kater, „ist noch ein Briefchen hier von derselben Hand. Es lautet: ‚Geliebter! Ich habe Mama alles gestanden. Sie erwartet Dich heute mittags. Ich schwelge im Glück! Ewig die Deine – Linolinde.’“
    „Mein lieber Herr Schulze“, fuhr der Kater fort, „wenn Sie ein
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