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Traumjäger (German Edition)

Traumjäger (German Edition)

Titel: Traumjäger (German Edition)
Autoren: Ulrike Talbiersky
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lehren!“
    Doch er kam nicht dazu. Ein weiterer Lichtpunkt löste sich aus der Wolke, dann noch einer, und noch einer… Sorgul erstarrte in seiner Bewegung.
    Die Tropfen fielen sanft auf mich herab, wuschen mir die schwarze Farbe aus den Haaren und spülten den dunklen Umhang weg. Warm und freundlich trafen die Lichtpunkte auf mein Gesicht, auf meine Arme und meine Beine. Entsetzt sah Sorgul mit an, wie das Licht mich veränderte, mich wieder zum Traumjäger machte und alles Traumlose von mir wegwusch, bis nichts mehr davon übrig war.
    Und in dem Moment, wo ich wieder der alte Andy war, erstrahlte die Wolke über uns heller als Licht. Und es donnerte.
    Die Traumlosen waren starr vor Verblüffung über das, was sich gerade alles vor ihren Augen abspielte. Es blieb ihnen gar keine Zeit, sich von ihrem Schrecken zu erholen, denn nun begann es zu regnen.

Kapitel 22

    Helden

    S anft fielen die ersten Tropfen auf den dunklen Burghof nieder. Sanfte und helle Tropfen. Golden, rein und pur wie das Licht. Das war vielleicht ein Anblick!
    Doch die grauen Gesichter der Traumlosen blickten nur mit Entsetzen auf das, was auf sie hinabregnete. Licht war ihnen zuwider. Sie konnten es nicht ertragen.
    Schreie der Verzweiflung drangen an mein Ohr. Die Traumlosen versuchten zu fliehen, doch sie standen so dicht beieinander, dass sie nur gegenseitig über sich stolperten und ein großes Chaos ausbrach. Sie hielten sich schützend die Arme über den Kopf, wickelten sich fest in ihre dunklen Umhänge und duckten sich hinter Felsen. Sie versuchten alles, um dem schrecklichen Licht zu entkommen, das sie so jäh aus ihrer Dunkelheit riss, doch es gab kein Entrinnen.
    Auch ich blickte in den Himmel, und je länger ich hoch schaute, desto wärmer fühlte ich mich. Und je wärmer ich mich fühlte, desto stärker wurde der Lichtregen.
    Er prasselte auf den Burgplatz und auf die Traumlosen herab. Er spülte ihre dunklen Umhänge weg, wusch die schwarze Farbe aus ihren Haaren und schluckte jeden Schatten.
    Die glänzenden Tropfen fielen leise plätschernd auf die Burgtreppe. Sie fielen auf Sorgul, auf Tom und auf mich. Ich reckte meine Arme in den Himmel, schloss die Augen und drehte mich.
    Wie warm und weich sich das Licht auf meiner Haut anfühlte! Alles war gut! Oh wie ich mich freute!
    Ich hatte sie wieder, meine Freude. Grenzenlose Freude, die ihr warmes Tuch über die dunklen Erinnerungen breitete und sie verhüllte.
    Ich war wie berauscht und achtete gar nicht auf Sorgul, der sich mit vor Zorn verhärmtem Gesicht von mir entfernte. Die Lichttropfen brannten tiefe Löcher in seinen Umhang. Ich merkte nicht, wie er sich langsam bückte, etwas Schweres vom Boden hochhob und sich mit neu gewonnener Kraft wieder in voller Größe aufrichtete.
    Als ich die Augen öffnete, sah ich die Axt silbrig, scharf, im Schein der Lichttropfen aufleuchten.
    Sorgul stand vor dem kleinen Marmortisch, er hob die Axt hoch über seinen Kopf.
    Die Uhr! Mein Herz stockte. Sie lag direkt vor ihm, klein und unschuldig! So rein wie das Licht. Ich hatte nicht mehr an sie gedacht! Noch hatte ich nicht gewonnen! Ich hatte mich zu früh gefreut.
    Wenn Sorgul sie nun zerstörte, dann war alles umsonst, dann war dies mein letzter Traum gewesen!  
    „NEIN!“, schrie ich.
    Sorgul blickte mich triumphierend an. „Ihr Träumer seid doch alle Narren!“, rief er spöttisch. „Ihr schafft euch eine eigene Welt, in der ihr Helden spielen könnt. Eine schöne, heile Welt, in der alles gut ist, und in der ihr das Sagen habt. Wie großartig. Doch eines vergesst ihr dabei: Diese Welt ist nicht wirklich! Träume verhüllen den Blick auf das Wesentliche, rauben euch den letzten Verstand; gaukeln euch etwas vor, bis ihr es glaubt. Wie naiv! Was seid ihr denn schon mit euren Träumen? Gar nichts. Sieh es ein, kleiner Träumer. Du hast verloren. Es ist aus.“
    Die Axt fiel zum Schlag.
    Ich schlug die Hände vor das Gesicht. Doch das Geräusch eines zerschmetternden Uhrenglases hörte ich nicht.
    „Und was wären wir ohne unsere Träume, Sorgul?“, hörte ich plötzlich eine vertraute, ruhige Stimme fragen. Vorsichtig spreizte ich die Finger und linste durch sie hindurch.
    Toms Hand griff fest um Sorguls Arm. Die Axt blieb unverrichteter Dinge eine Haaresbreite über der Uhr in der Luft hängen. Tom riss dem dunklen Herrscher die Axt aus der Hand und warf sie scheppernd zu Boden.
    Dann griff er nach der goldenen Uhr und ließ sie an seinem Finger vor Sorguls Nase baumeln.
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