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Traumjäger (German Edition)

Traumjäger (German Edition)

Titel: Traumjäger (German Edition)
Autoren: Ulrike Talbiersky
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Dann nimmst du es mit meinen Leuten auf?“ Er wies auf die Traumlosen, die vom Burghof bis zum Ende des Felsen dicht an dicht gedrängt standen. Selbst auf dem See saßen sie in ihren Booten. Es waren die, die keinen Platz mehr auf dem Fels gefunden hatten.
    „Oder“, Sorguls Gesicht war nun ganz dicht vor Toms, „Oder nimmst du es gar mit mir auf?“
    Tom blieb ihm die Antwort schuldig. Der Herrscher der Dunkelheit lachte, dann richtete er seinen knöchrigen Finger gegen Toms Brust. „Wage es nicht noch einmal, mir zu drohen!“
    Toms Brauen zogen sich zusammen. Er blieb still, doch ich konnte sehen, wie wütend er war. Wütend darüber, nichts gegen ein Heer schwarzer Gestalten, nichts gegen einen grausamen Fürsten der Finsternis ausrichten zu können. Wütend darüber, mich nicht aus den Klauen der Traumlosen retten zu können.
    Sorgul packte mich an der Schulter und stieß mich ein paar Schritte weg. In einiger Entfernung stellte er mich Tom gegenüber. Toms Blick war voller Sorge und Mitgefühl. Die Traumlosen hielten mich schrecklich fest in ihrem Griff.
    „Ich denke, es ist an der Zeit, dem alten Traumjäger einmal zu zeigen, was es bedeutet, ein Traumloser zu werden.“, rief Sorgul der dunklen Menge entgegen. „Ist es nicht schön, einer von uns zu sein?“ Die Traumlosen jubelten. Sorgul drehte sich zu Tom. „Oder willst du die Uhr vielleicht jetzt für uns öffnen?“, zischte er.
    Tom starrte Sorgul an, dann mich, dann die Uhr auf dem dunklen Marmortischchen. Sein Atem ging schwer. Er rang mit sich.
    „Tu es nicht, Tom!“, schrie ich zu ihm hinüber. „Was auch passiert, tu es nicht, bitte!“
    Ich fürchtete mich entsetzlich vor dem, was kommen würde, aber Tom durfte auf gar keinen Fall nachgeben. Tom senkte den Blick. Sorgul nickte. „Das dachte ich mir…“
    Auf seinen Wink erschienen fünf Traumlose. Thea brachte einen Stuhl herbei und drückte mich unsanft auf die Sitzfläche. Bevor ich wusste, wie mir geschah, hatten die Traumlosen einen Kreis um mich herum gebildet. Ihre leeren Augen waren voll und ganz auf mich gerichtet. Sie schienen in mich hinein, durch mich hindurch zu schauen. Ich spürte ihre scharfen Blicke unangenehm tief in mir. Es ließ mich am ganzen Körper zittern.
    „Halt!“, rief Sorgul auf einmal. „Halt, ich hatte vergessen, dass wir es schließlich mit einem kleinen Traumjäger zu tun haben. Fünf Traumlose sind viel zu wenig. Das dauert mir sonst zu lange.“ Er winkte weitere fünf herbei, die mich ebenfalls umringten.
    „Andy!“, hörte ich Tom verzweifelt rufen.
    „Tu es nicht, Tom!“, warnte ich. Irgendwie schaffte ich es, dass meine Stimme sicher klang und nicht schwankte.
    Ich konnte meinen Freund nicht mehr sehen, schwarze Gewänder versperrten mir den Blick. Alles was ich wahrnahm, waren graue, ausdrucklose Gesichter und leere Augen. Mein Herz klopfte wie wild in meiner Brust. Das zischende Stimmengewirr der jubelnden Menge drang wie von weiter, weiter Ferne an mein Ohr. Mir schwindelte. Hätte ich nicht auf dem Stuhl gesessen, so wäre ich sicherlich umgekippt.
    Die farblosen Augen hefteten sich an mein Gesicht, an meinen Hals, an meine Brust, an meinen ganzen Körper. Ihr leerer Blick drang in mich ein und alle Freude wich aus mir.
    Ich spürte, wie mein Herz erkaltete.
    Ich spürte, wie meine Augen ihren Glanz verloren.
    Ich spürte, wie sich eine tiefe Leere in mir ausbreitete.
    Die Freude verließ mich und hinterließ keine Spur. Ich konnte mich nicht mehr freuen, mich nicht einmal mehr daran erinnern, wie sich Freude anfühlte, ja, mich nicht einmal mehr daran erinnern, dass es so etwas wie Freude gab!
    Ich vergaß, dass die Welt bunt war. Es gab keine Farben mehr.
    Mein Haar hing mir schwarz und strähnig in die graue Stirn. Ein schwarzer Umhang legte sich wie von Geisterhand über meine Schultern.
    Und mir war so schummrig, so schrecklich schummrig…
    Mitten in den Taumel des Vergessens hinein sprach eine leise Stimme in meinem Kopf zu mir: „Noch ist nichts verloren, gib mich nicht auf!“, sagte sie. „Lass mich nicht gehen! Halt mich fest.“ Ich wusste, dass es die Stimme der Hoffnung war. Ich wollte sie halten, ihr zuhören, doch schon flüsterte sie: „Ich bin schwach. Mir fehlt die Kraft. Ich kann nicht mehr, es hat keinen Sinn, es ist alles aus…“
    Die Stimme wurde leiser und leiser, bis sie schließlich ganz erstarb.
    Ich war verloren, und ich war mir der Endgültigkeit meines Versagens bewusst. Es gab keine Hoffnung mehr,
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