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Transfer

Transfer

Titel: Transfer
Autoren: Stanislaw Lem
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keine Lust, ihn zu suchen, äußerdem war diese Treppe an sich schon eine Sehenswürdigkeit, da sie unbeweglich war. Oben ging nach beiden Seiten ein gleichartiger Gang aus. Es gab dort auch ähnliche menschenlose Zimmer; auf einer Tür sah ich dann einen kleinen Zettel mit den deutlich geschriebenen Worten: »Hier, Bregg!« Ich klopfte und hörte sofort die Stimme von Thurber.
    Ich ging hinein. Er saß gebeugt gegen die Dunkelheit eines ganzwandigen Fensters, im Licht der niedrig herabgezogenen Lampe. Der Schreibtisch, an dem er arbeitete, war mit Papieren und Büchern - wirklichen Büchern - übersät und auf einem anderen, kleineren, daneben, lagen ganze Haufen von den Kri-stall-»körnern« und verschiedenartige Apparate. Er hatte einen Stoß Papier vor sich und notierte - mit einer in Tinte getauchten Feder! - verschiedene Bemerkungen an den Rand.
    »Setz dich«, sagte er, ohne aufzublicken. »Bin gleich fertig.«
    Ich setzte mich in einen niedrigen Sessel am Schreibtisch und schob ihn etwas zur Seite, weil Thurbers Gesicht im Licht nur ein einziger Flecken war und ich ihn doch gut sehen wollte.
    Er arbeitete auf seine Weise, langsam, mit gebeugtem Kopf und durch gerunzelte Brauen sich gegen das Lampenlic ht wehrend.
    Es war eins der bescheidensten Zimmer, die ich bisher sah, mit matten Wänden, grauen Türen, ohne eine einzige Verzierung, ohne eine Spur des widerwärtigen Goldes - beiderseits der Tür
    gab es viereckige, jetzt nur blinde Schirme, die Fensterwand war mit Metallschränkchen vollgestellt, an einem lehnte eine hohe Rolle von Landkarten oder technischen Zeichnungen - und das war eigentlich alles. Ich blickte nun auf Thurber selbst. Kahlköpfig, massiv, schwer - schrieb er und wischte von Zeit zu Zeit mit dem Handrücken eine Träne vom Auge. Seine Augen tränten immer, und Gimma - der die Geheimnisse anderer zu verraten liebte, vor allem solche, die jemand besonders geheimzuhalten versuchte - sagte mir einmal, daß Thurber sich um sein Augenlicht Sorge mache. Darum konnte ich verstehen, warum er sich als erster hinlegte, wenn wir die Beschleunigung veränderten, und warum - in den späteren Jahren- er sich von anderen vertreten ließ - bei Arbeiten, die er vorher immer selbst ausgeführt hatte.
    Mit beiden Händen sammelte er seine Papiere, klopfte damit gegen den Schreibtisch, um die Ränder auszugleichen, steckte sie in eine Mappe, schloß sie und sagte erst dann, indem er seine großen Hände mit dicken, nur mühsam sich biegenden Fingern hängenließ: »Grüß dich, Hal. Wie geht es dir?«
    »Kann mich nicht beklagen. Bist du… allein?«
    »Das soll heißen: ob Gimma hier ist? Nein. Er ist nicht hier; ist gestern weggefahren. Nach Europa.«
    »Arbeitest du?«
    »Ja.«
    Ein kurzes Schweigen folgte. Ich wißte nicht, wie er auf das, was ich ihm zu sagen hatte, reagieren würde - wollte erst erfahren, wie er die Dinge in der von uns vorgefundenen Welt betrachtete. Da ich ihn ja gut kannte, erwartete ich keine Gefühlsäußerungen.
    Er behielt den größten Teil seiner Meinungen immer für sich.
    »Bist du schon lange hier?«
    »Bregg«, sagte er, weiterhin so starr wie er dasaß, »ich bezweifle, daß dich das interessiert. Du redest um den Brei herum.«
    »Schon möglich«, meinte ich. »Heißt das, daß ich sprechen soll?«
    Wieder empfand ich dieselbe Zerrissenheit, etwas, was zwischen Gereiztheit und Schüchternheit lag, das mich stets ihm gegenüber befiel - die anderen wohl übrigens auch. Ich wußte nie, ob er scherzte, sich lustig machte oder aber im Ernst sprach; bei aller Ruhe und aller Aufmerksamkeit, die er dem Partner bewies, blieb er vollkommen undurchsichtig.
    »Nein«, sagte er. »Vielleicht später. Wo kommst du her?«
    »Aus Houl.«
    »Direkt von dort?«
    »Ja… und warum fragst du?«
    »Gut«, sagte er, als ob er meine letzten Worte nicht gehört hätte. Er sah mich unbeweglich vielleicht fünf Sekunden lang an, als wollte er sich meiner Anwesenheit versichern, sein Blick war völlig ausdruckslos - aber nun ahnte ich schon, daß etwas vorgefallen war. Nur wußte ich nicht, ob er es mir sagen würde. Sein Benehmen war nie vorauszusehen. Ich überlegte, wie ich am besten anfangen sollte, und er betrachtete mich inzwischen mit steigender Aufmerksamkeit, geradezu so, als hätte ich mich ihm in einer ganz unbekannten Gestalt gezeigt.
    »Was macht Vabach?« fragte ich, als sich diese stumme Betrachtung schon über Gebühr hinauszog. »Er fuhr mit Gimma zusammen.«
    Nicht das
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