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Träume(h)r (German Edition)

Träume(h)r (German Edition)

Titel: Träume(h)r (German Edition)
Autoren: Rudolf Moos
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Achselhöhlen durch die kindliche Nase hatte aufnehmen können. Sein Eintrag sah an diesem Abend recht interessant aus.
     
    12. Juni 1995
    Liebes Tagebuch, heute habe ich auf dem Ausflug in die Flaschenfabrik Ärger bekommen, weil ich den Mann, der uns herumgeführt hat immer nachgemacht habe. Das tat mir danach Leid. Ich hoffe der schläft heute trotzdem gut. Frau Jäger riecht so stark wie Mamas Parfüm, wenn sie ihren Arm hebt. Nur in schlecht. Ich sage das lieber keinem. Sonst krieg ich bestimmt wieder Ärger. Bis in fünfzehn Jahren. Vergiss dann nicht Frau Jäger für die Erinnerungen zu danken und ihr Mamas Parfüm zu schenken. Tschüss.
     
    Heute sahen Marcs Einträge zwar erwachsener aus, aber an Lerntagen, wie diesem, gab es nicht viel zu erzählen.
     
    17. Juli 2012
    Heute bist du aufgestanden und Joggen gewesen. Wie immer. Daraufhin hast du begonnen zu lernen, bis du dann zum Sport gefahren bist. Nach dem Sport wurde dann wieder gelernt, daraufhin gegessen, dann gelesen und dann den Sonnenuntergang angesehen. Heute sehr viele Orange-Töne dabei gewesen. Das war es eigentlich. Übrigens ist das Buch genauso ausgegangen, wie du dir schon gedacht hast. Morgen findet die letzte Klausur deines Lebens statt. Dann kommt nur noch die Masterarbeit. Weisst du ja selbst. Immerhin bist du, ich. Vergiss danach den Gastvortrag, den du in Sörings Gründervorlesung halten musst, nicht.
     
    Besondere Vorkommnisse: Keine.
    Zweifel am Studium: Exponentiell steigend.

Der nächste Morgen wurde von Marc mit einem gesunden Frühstück, bestehend aus frischgepresstem Orangensaft, Obstsalat und etwas Schwarzbrot mit Aufstrich, begonnen. Daraufhin verließ er gut gestärkt das Elternhaus. Seine Mutter winkte ihm immer so lange zum Abschied, bis das Auto gänzlich hinter der Hecke im Vorgarten verschwunden war. Manchmal fragte sich Marc, ob sie zur Sicherheit noch weitere fünf Minuten auf dem gleichen Fleck stehen blieb, um sicherzugehen, dass sie auch nichts von der Rückseite des Wagens verpasst hatte.
    Jetzt musste er nur noch Ole abholen. Auf der Fahrt zu seinem Kumpel ging er im Kopf noch einige Definitionen durch. Mittlerweile saß das Skript so perfekt, wie der Psalm 23 im Gedächtnis des Papstes. Es konnte bald losgehen. Sechzig Minuten durchschreiben. Nonstop. Sehnenscheidenentzündung und beim Verlassen des Prüfungsraumes das Gefühl, von einem Alien ausgesaugt worden zu sein, inklusive.
    An der Tür des Wohnheims angekommen hupte Marc mehrfach, bis wenige Sekunden später ein zwei Meter großer Ole die Einfahrt entlangkam. Sein Gang war federleicht, aber durch die enorme Größe wirkten seine Bewegungen trotzdem schlaksig. Das blonde, schulterlange Haar wippte gleichmäßig beim Gehen in der Luft. Er trug Chucks, lässige Jeans und ein Hemd in Kombination mit einem ausgewaschenen T-Shirt, womit er vom optischen vielmehr einem Soziologiestudenten, als einem erfolgshungrigen BWLer glich. Vermutlich hatten sie deswegen einander gefunden. Weil beide eher zu der unkonventionellen Gattung der Wirtschaftsstudenten gehörten, dachte sich Marc.
    »Hey, Turtle! Bereit für heute?«, fragte Ole, nachdem er ins Auto gestiegen war.
    »Turtle« oder »Hero Turtle« nannte er seinen Freund dank der gleichnamigen Zeichentrickserie in den Neunzigern. Die zur menschenähnlichen Gestalt mutierten Ninja Schildkröten hatten zwar drei Finger und das an jeder Hand, aber diese Tatsache interessierte Ole nicht wirklich. Ihm genügte es, dass Marc vier Finger und an nur einer Hand hatte, um eine Parallele zu den Schildkröten herstellen zu können.
    Regelmäßig machte er sich einen Spaß daraus, Frauen, die sie gemeinsam kennenlernten, zu erzählen, dass Marc als Kind die »Hero Turtles« unglaublich vergötterte. Aus diesem Grund heraus beschloss er eines Tages sich am ganzen Körper mit grüner Farbe zu bemalen, um wie einer seiner Helden auszusehen. Allerdings bemerkte er vor dem Spiegel, mit seinen Nanuchakus aus Schaumstoff herumfuchtelnd, dass ihn bloß vier Finger von dem absoluten Heldendasein trennten. Die Entscheidung war also nicht schwer. Er schnitt sich den ersten Finger ab, aber bis zu dem zweiten kam er nicht, da er längst bewusstlos geworden war. Somit sei er heute mindestens ein halber Hero Turtle, bekräftigte Ole vollen Ernstes, ohne den geringsten Anflug von Ironie durchdringen zu lassen, woraufhin die Damen, denen er diese Geschichte erzählte, an dieser Stelle jedes Mal in lautem Gelächter ausbrachen. Oles
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