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Traeume Suess, Mein Maedchen

Titel: Traeume Suess, Mein Maedchen
Autoren: authors_sort
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blickten ihre großen braunen Augen beinahe heiter gelassen zurück. Sonnengebleichte schulterlange Haare rahmten ein hübsches ovales Gesicht, in dem erstaunlicherweise nichts von ihrem inneren Aufruhr zu lesen war. Wessen tolle Idee war es überhaupt gewesen, ihn zu überraschen? Hatte er nicht mehrfach erklärt, dass er Überraschungen hasste?
    Einem Impuls folgend bog sie links auf den Dixie Highway und fuhr Richtung Süden. Dann würde sie hinterher
zwar einen längeren Rückweg haben, aber die City von West Palm Beach war nur ein paar Straßen entfernt, und die Lokale entlang der Clematis Street waren bestimmt einladender als die Bars am Palm Beach Lakes Boulevard. Und sie konnte, wenn es ihr in einem Laden nicht gefiel, einfach zum nächsten weitergehen, ohne dafür wieder ins Auto steigen zu müssen.
    In der Datura Street fuhr ein hellroter Mercedes aus einer Parklücke, und Jamie setzte ihren alten blauen Thunderbird in den frei gewordenen Platz, sorgfältig darauf bedacht, eng am Randstein zu parken. Sie stieg aus, suchte in ihren Taschen nach Kleingeld und warf mehr Münzen als nötig in die Parkuhr. Sie hatte nicht vor, lange zu bleiben.
    Als Jamie in die Clematis Street bog, kam ihr ein eng umschlungenes, an den Hüften scheinbar zusammengeschweißtes junges Paar entgegen. Die goldenen Stöckelschuhe des schlanken Mädchens klapperten laut über den Bürgersteig. Kurz vor der Straßenecke blieben sie stehen, um sich zu küssen, bevor sie bei Rot über die Ampel gingen. Auf dem Weg nach Hause, wo sie glücklich lebten bis ans Ende ihrer Tage, dachte Jamie und sah ihnen nach, bis sie in der Dunkelheit verschwunden waren. Statt Glück bis an ihr Lebensende würde sie sich schon mit einer Nacht voller Lügen zufrieden geben.
    Für einen Mittwochabend war es im Watering Hole ziemlich voll. Jamie sah auf die Uhr. Sieben Uhr, Abendessenzeit, Anfang Mai. Warum sollte der Laden nicht voll sein? Es war ein beliebtes Lokal in einer schicken Straße, und auch wenn die so genannte Saison streng genommen vorbei war, gab es immer noch genug überwinternde Pensionäre, die zögerten, ihre Sachen zu packen und für den Sommer heim in den Norden zu fahren. Genau das sollte sie am besten machen, dachte sie. Einfach ihre paar Habseligkeiten zusammenpacken, auf die Rückbank ihres Wagens werfen und dann zusehen, dass sie die Stadt möglichst schnell hinter sich ließ. Wieder einmal.

    Wer würde sie schon vermissen? Ihre Familie bestimmt nicht. Ihre Mutter war vor acht Wochen gestorben; ihr Vater lebte mit seiner vierten Frau irgendwo in New Jersey. Er hatte - unglaublich, aber wahr - zwei Joans geheiratet, eine Joanne und jetzt eine ehemalige Stewardess namens Joanna, die mit 36 nur sieben Jahre älter war als Jamie. Und ihre Schwester wäre wahrscheinlich sogar froh, wenn sie sie nicht mehr sehen müsste. (»Du bist schlimmer als meine Kinder«, hatte Cynthia gesagt, als Jamie sie zwei Tage zuvor angerufen hatte, um über den Dauerregen zu klagen.) Jamies Job als Schadensreguliererin bei einer Versicherungsfirma war langweilig und ohne jede Perspektive, ihre Chefin war eine unfreundliche Frau, die ständig wegen irgendwas auf hundertachtzig war. Jamie hätte schon vor Monaten gekündigt, wenn sie die Stelle nicht überhaupt nur auf Empfehlung von Cynthias Mann Todd bekommen hätte. Was ist bloß mit dir los? Kannst du nicht mal bei irgendwas bleiben?, konnte sie ihre Schwester tadeln hören, gefolgt von einem: Ich hätte es wissen müssen. Du und deine Flatterhaftigkeit. Des Weiteren gefolgt von: Wann hörst du endlich auf herumzudaddeln und fängst an, Verantwortung zu übernehmen? Um schließlich in Grund und Boden gerammt zu werden mit: Wer schmeißt schon kurz vor dem Examen das Studium, um irgendeinen Idioten zu heiraten, den sie kaum kennt? Und falls sie dann immer noch atmete: Du weißt, dass ich es nur gut mit dir meine. Es wird höchste Zeit, dass du dich der Realität stellst und dein Leben selbst in die Hand nimmst. Wirst du jemals so weit sein?
    Jamie zog einen Hocker an der langen Bar vor und machte dem Barkeeper ein Zeichen, dass sie bestellen wollte. Warte nur, bis Cynthia von dem heutigen Fiasko erfährt, dachte sie und entschied sich kühn, anstatt der üblichen Weißweinschorle ein Glas offenen Burgunder zu bestellen. Sie spähte ins Halbdunkel und nahm den großen Raum mit einem Blick in sich auf. Er war lang und rechteckig mit einer Terrasse
zur Straße hin. Eine Reihe gepolsterter Bänke säumte die
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