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Traeume Suess, Mein Maedchen

Titel: Traeume Suess, Mein Maedchen
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Menge Glas in diesem Haus, dachte er und streckte die Finger in seinen Latexhandschuhen. Er würde jedenfalls keine verräterischen Spuren hinterlassen.
    Wer sagte, dass er immer blindlings losschlug? Wer sagte, dass er keinen Plan hatte?
    Er blickte in die Küche zu seiner Rechten und überlegte, ob er im Kühlschrank nachsehen und sich vielleicht ein Bier nehmen sollte, wenn sie noch welches vorrätig hielt. Wahrscheinlich nicht, nachdem er nicht mehr zu ihren regelmäßigen Besuchern zählte. Er war der Einzige, der hier je Bier getrunken hatte. Die anderen Gäste blieben störrisch bei Chardonnay und Merlot oder wie die Plörre hieß, die sie ausschließlich tranken. Für ihn schmeckte das Zeug alles gleich - vage nach Essig und Metall. Er bekam davon nur Kopfschmerzen. Vielleicht kamen die aber auch von den Leuten, die sie eingeladen hatte. Er zuckte die Achseln, als er an die verstohlenen Blicke dachte, die sie sich zugeworfen hatten, wenn sie glaubten, er würde es nicht sehen. Er ist
bloß ein Ausrutscher, hatten diese Blicke gesagt, in kleinen Dosen ja ganz amüsant, ansonsten aber nur ein müdes Lächeln wert. Er würde sich ohnehin nicht lange genug halten, als dass es von Belang wäre.
    Aber er war geblieben.
    Es war von Belang.
    Und nun bin ich zurückgekommen, dachte er, und ein brutales Lächeln zerrte an seinen Mundwinkeln und den vollen Lippen.
    Eine störrische Strähne seiner langen braunen Haare fiel ihm in die Stirn und ins Auge. Ungeduldig strich er sie hinter sein Ohr und ging den schmalen Flur zu dem Schlafzimmer auf der Rückseite des ordentlichen Bungalows entlang. Als er an der kleinen Kammer vorbeikam, wo sie ihre Yogaübungen machte und meditierte, stieg ihm ein leichter Weihrauchduft in die Nase, der an den Wänden klebte wie der Geruch von frischer Farbe. Sein Grinsen wurde breiter. Für jemanden, der mit aller Macht innere Ruhe finden wollte, war sie erstaunlich reizbar, stets bereit, über irgendetwas völlig Nebensächliches zu streiten. Sie nahm Anstoß, wo keine Kränkung beabsichtigt war, und ging ihm bei der leisesten Provokation an die Kehle. Obwohl es ihm durchaus Spaß gemacht hatte, sie zu provozieren.
    Ihre Schlafzimmertür stand offen, sodass er vom Flur die Umrisse ihrer schlanken Hüfte unter der dünnen weißen Baumwolldecke ausmachen konnte. Er fragte sich, ob sie unter der Decke nackt war und was er tun würde, wenn sie es war. Nicht dass er sich in dieser Hinsicht für sie interessiert hätte. Für seinen Geschmack war sie ein wenig zu durchtrainiert und fragil, als könnte sie beim leichtesten Druck unter seinen Händen zerbrechen. Er mochte die Frauen weicher, fülliger und verwundbarer. Er mochte etwas, das man packen und in das man seine Zähne graben konnte. Trotzdem, wenn sie nackt war …
    War sie nicht. Sobald er das Zimmer betreten hatte, sah er
die blauen und weißen Streifen ihres Schlafanzugoberteils. Er hätte es sich eigentlich denken können, dass sie einen Männerpyjama trug. Jedenfalls überraschte es ihn nicht. Sie hatte sich schon immer eher wie ein Mann gekleidet und nicht wie ein Mädchen. Wie eine Frau, hörte er unweigerlich ihren Einspruch in seinem Kopf, als er sich dem großen französischen Bett näherte. Passend für eine Königin, dachte er, als er auf sie herabstarrte. Auch wenn sie in diesem Moment nicht besonders hoheitsvoll aussah. Sie lag auf der linken Seite halb in der Embryonalstellung zusammengerollt, ihre sonnengebräunte Haut wirkte im Schlaf blass, ihr kinnlanges Haar klebte an ihrer rechten Wange, die Spitzen ragten in ihren offen stehenden Mund.
    Wenn sie nur gelernt hätte, diesen großen Mund zu halten.
    Dann würde er heute Nacht vielleicht jemand anderen besuchen.
    Oder er müsste womöglich niemanden besuchen.
    Das letzte Jahr wäre vielleicht gar nicht passiert.
    Nur dass es eben passiert war, dachte er, ballte die Fäuste und öffnete sie wieder. Und es war vor allem deshalb so gekommen, weil die dumme Gracie ihre dummen Gedanken und Ansichten nicht für sich behalten konnte. Sie war die Anstifterin gewesen, diejenige, die alle gegen ihn aufgestachelt hatte. Alles, was geschehen war, war ihre Schuld. Deshalb schien es nur passend, dass sie heute Nacht auch diejenige war, die es wieder gutmachen würde.
    Er blickte zum Fenster auf der anderen Seite des Raumes und sah die Mondsichel, die zwischen den Lamellen der weißen Jalousie hindurchschimmerte. Draußen malte der Wind mit surrealem Pinselstrich ein Bild der Nacht,
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