Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum
sind die Spanier wohl der Meinung, Puente la Reina sei als offizieller Startpunkt besser geeignet. So schlendere ich also zur Kirche, um festzustellen, dass diese geschlossen ist. Na prima, wieso verschließt man ein Gotteshaus? Enttäuscht laufe ich wieder zurück, um mich im Garten weiter zu langweilen. Ich habe immer noch keinen Hunger. Mein Baguette habe ich nicht einmal angerührt, dafür aber nach wie vor einen riesen Durst. Hier im Garten ist genau so wenig los wie im Dorf. Während der Siesta ziehen sich die Spanier wie in einem Horrorfilm zurück und schließen Fenster, Türen und Rollläden, als würde die schwarze Pest sie überkommen. Es ist wie ausgestorben. Als ich gestern hier ankam, dachte ich tatsächlich, außer den Pilgern, die hier nächtigen, lebt in diesem Dorf niemand. Umso erstaunter war ich dann, als sich am Abend die dicken Eichentüren und Rollläden öffneten und Boutiquen, Supermärkte, Restaurants und Bars zum Vorschein kamen.
Den Rest des Tages verbringe ich notgedrungen vor meinem Zelt im Garten, werde aber gen späten Nachmittag durch nette Gesellschaft unterhalten. Zwei junge Spanier gesellen sich zu mir sowie ein älterer spanischer Pilger in den Sechzigern. Brennend interessieren sie sich für mein kleines Ein-Mann-Zelt. Begutachten es von innen und von außen und stellen mir allerlei Fragen. Danach unterhalten wir uns über viele Dinge, was uns dazu führt, den Camino zu gehen, wo wir gestartet sind und ob wir zum ersten Mal den Weg pilgern. Einer der beiden jüngeren Spanier, Juan, spricht fließend Deutsch, da er zwei Jahre in Österreich mit seiner Freundin gelebt hat. Nun läuft er zum zweiten Mal den Camino, um sich dann in Santiago mit ihr zu treffen und gemeinsam nach Finisterre zu laufen. Der andere, Thomé, sagt im Grunde nicht viel und taucht nach diesem Abend wie so viele Begegnungen in der Masse der Bekanntschaften unter. Pedro der alte Herr, den ich auf etwa Anfang 60 schätze, läuft den Camino bereits zum siebten Mal und ist auch unzählige andere Routen gelaufen. Anscheinend macht er in seinem Rentenalter nichts anderes als Pilgern. Seinem sympathischen Gesicht nach zu urteilen eine absolute Befriedigung. Seine Augen haben Lachfalten und er strahlt den ganzen Abend glücklich vor sich hin.
Gegen 21 Uhr bekomme ich dann endlich Hunger. Da auch alle anderen aus unserer kleinen Runde Appetit bekommen, gehen wir in die Küche, machen Pasta und setzen dort unsere Gespräche fort. Ein netter Abschluss für den Tag. Endlich habe ich auch wieder was im Bauch und fühle mich weitgehend gesund, so dass ich diese Nacht wunderbar durchschlafe.
15.06.09, Montag — Puente la Reina nach Monasterio de Irache
Die Nacht war schön kühl und ich hatte endlich mal eine angenehme Temperatur in meinem Zelt. Morgens ziehe ich dann pünktlich weiter, auch wenn mein Kreislauf noch etwas schwach ist. Fühle mich aber gut genug, um vorsichtig meinen Weg fortzusetzen. Auf der Puente der unbekannten Reina staune ich noch einmal über das Bauwerk. Dabei werde ich mir bewusst, dass dieser Flussübergang vor etwa 800 Jahren erbaut wurde und immer noch existiert. Schon beeindruckend. Wie viele Pilger wohl schon über diese Brücke gegangen sind? Die heutige Strecke ist nicht wirklich aufregend. Da es auch immer wieder leichte bis ordentliche Regenschauer gibt, ist das Wanderwetter eher unbefriedigend. In Monasterio de Irache soll es einen Weinbrunnen geben, erzählte Juan gestern. Das ist doch mal ein Ziel! Ich trabe wie ein Esel, dem man eine Karotte vor die Nase hängt, auf direktem Wege non-stop die etwa 20 km bis zu der besagten Quelle. Endlich angekommen, stehe ich tatsächlich vor einer in die Wand eingelassenen Quelle mit zwei Wasserhähnen. Der rechte gibt Wasser und der linke tatsächlich Rotwein! Ohne was gegessen zu haben, nutze ich meine Chance und fülle meinen Becher mit dem köstlichen Saft. Zwar ist es noch nicht einmal mittags, aber was soll’s, schließlich kommt der Wein hier vollkommen kostenlos aus dem Hahn. Leider habe ich nur meine Wasserflasche dabei. Da ich solch eine Gelegenheit jedoch so bald nicht noch einmal bekommen werde, kippe ich mein Wasser aus und fülle meine Flasche mit dem Rotwein auf. Der darauf folgende Weg stellt sich plötzlich als extrem anstrengend heraus, obwohl es nur wenige Kilometer bis nach Irache selbst sind. Viel lieber würde ich nun ein kleines Mittagsschläfchen halten. Zu allem Überfluss hat der Regen aufgehört und die Sonne knallt
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