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Träume jenseits des Meeres: Roman

Träume jenseits des Meeres: Roman

Titel: Träume jenseits des Meeres: Roman
Autoren: Tamara McKinley
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Lieder. Die Strafe, die sie von den Geistern zu erwarten hatte, würde bestimmt viel höher ausfallen, wenn auch das Kind verloren wäre.
    Die uralten Gesänge wurden seit der Traumzeit von den Müttern an die Töchter weitergegeben. Eine Frau nach der anderen verließ den Kreis, streifte zwischen den heiligen Steinen umher und rief die Geister an, die Verlorenen freizugeben. Bei ihrer Rückkehr waren dann alle Augen hoffnungsvoll auf sie gerichtet; das Lied verklang, wenn man sah, dass sie allein kam.
    Der Gesang wurde intensiver, je höher die Sonne stieg, doch von dem Kind und der jungen Frau gab es immer noch keine Spur. Garnday kehrte in den Kreis zurück und sah gerade noch, wie die Alte weghumpelte. Sie war lange fort, und ein Schauer der Hoffnung lief durch die Wartenden. Endlich tauchte die Alte auf, doch ihre Arme waren leer. Garnday beäugte sie argwöhnisch, denn sie hätte schwören können, dass sie ein Triumphieren über ihr Gesicht hatte huschen sehen. Wie war das möglich, wenn sie doch ohne das Kind zurückgekommen war?
    Ein einziger zitternder Jammerlaut zerriss die Luft.
    Sogleich trat Stille ein, und alle drehten sich gleichzeitig zu dem Geräusch um – in der irrwitzigen Hoffnung, es noch einmal zu hören. Und da war es wieder, kräftig, wütend und wild entschlossen, sich Gehör zu verschaffen.
    Die Mutter schrie auf und rannte darauf zu, die anderen Frauen im Schlepptau. Das kleine Mädchen lag auf einem Felsabsatz, unverletzt, aber ausgehungert und verängstigt. Unter Freudengeschrei hob die Mutter ihr Kind hoch, und niemand dachte daran, sich zu den beiden Frauen umzudrehen, die sich nicht an dem Taumel beteiligt hatten.
    In diesem Moment begriff Garnday, wie gerissen und stark die Ältere war, und erkannte, dass sie und Djanay in Lebensgefahr schwebten.
    Die Feier war ausgelassen, fiel aber kurz aus, denn die Geister hatten Djuwe nicht zurückgegeben. Die Rituale mussten unverzüglich abgehalten werden, wenn Djuwes Geist ins Jenseits entlassen werden sollte.
    Garnday drückte ihre Kinder an sich, während sie beobachtete, wie Malangi seinen Körper mit kalter Asche aus der Feuerstelle einrieb und die lange, sich wiederholende Totenklage anstimmte. Sie hätte nicht sagen können, was in ihm vorging. Unter normalen Umständen trauerte ein Witwer zwölf Monde lang, gab seine Frauen und Kinder in die Obhut von Verwandten, während er durch das Land streifte, doch wegen des corroboree würde Malangi seine einsame Wanderung verschieben.
    Garnday entfernte sich unbemerkt und suchte Djanay. Schließlich fand sie ihn zwischen den länger werdenden Schatten. »Warum haben die Geister sie zu sich genommen?«
    Garnday wusste, dass sie ihm eine weise Antwort geben musste. »Sie hat sie verärgert«, murmelte sie.
    Er nickte und schaute mit starrem Blick über die Ebenen. »Dann hätten sie mich auch mitnehmen sollen, nicht das Kind.«
    Sie hockte sich zu seinen Füßen nieder. »Sie haben sich entschieden, das Kind zurückzugeben«, antwortete sie ruhig. »Es steht uns nicht zu, ihre Gründe in Frage zu stellen, sondern wir sollten ihnen für die rechtzeitige Warnung danken.«
    Ein langes Schweigen trat ein, in dem Djanay ihre Worte in sich aufnahm. »Du hast versucht, mich zu warnen, aber aus Stolz hörte ich nicht auf dich. Jetzt ist Djuwe für immer verloren.« Er wandte sich zu ihr um, sie sah die Angst in seinen Augen. »Wir haben das heilige mardayin gebrochen – was wird jetzt mit mir geschehen?«
    »Es wird eine Strafe geben«, sagte sie vorsichtig. »Aber es hat den Anschein, als wären die Geister fürs Erste besänftigt.«
    Er schaute über sie hinweg zu den Singenden. »Was soll ich tun, Mutter?«
    Es gab viele Gefahren und zu viele Geheimnisse, sie musste ihre Wörter mit Bedacht wählen. »Du wirst Djuwe vergessen«, sagte sie schließlich mit einer Entschlossenheit, die ihre eigene Angst Lügen strafte. »Trauere um sie mit uns anderen und setze die Wanderung nach Uluru zu deiner Hochzeitszeremonie fort.«
    »Wie soll ich das anstellen – wenn ich doch die grausame Strafe kenne, die Djuwe von den Geistern auferlegt wurde?«
    »Weil du ein Mann bist und deiner Familie, deinem Stamm und deiner zukünftigen Frau gegenüber Verantwortung trägst. Die Geister werden dich beobachten, Djanay. Du musst achtsam sein – denn sie sind verärgert.«
    »Sie beobachten mich?« Furchtsam schaute er sich um.
    Garnday legte Nachdruck in ihre Worte. »Immer. Deshalb darfst du nicht mit Aladjingu
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