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Träume in Kristall

Träume in Kristall

Titel: Träume in Kristall
Autoren: Yasunari Kawabata
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in einer Minute fünfundzwanzig Komma vier Sekunden: japanischer Damenrekord, geschwommen von Nagai Hanako 924. Als ich ein junges Mädchen war: wie ich sie bewunderte! Dreitausendsechshundert Mikron in einer Minute. Ja, aber das ist die Geschwindigkeit, mit der menschliche Spermatozoen schwimmen. Relativ zur Körpergröße: dieselbe Zeit, wie die der Weltbesten unter den Schwimmern. Fische wie Silberglanz. Speere. Kaulquappen. Lufballons an Schnüren. Kruzifix und Freud. Sagte ich: Beispiele? Wie so erbärmlich doch, was man Symbole nennt! Kristall-Linsen die Augen des kurzsichtigen Fischs. Kugeln aus Bergkristall. Aus Glas. In große Kristallkugeln starrende orientalische Wahrsager: indische, türkische, ägyptische. In der Kristallkugel wie winzige Imitationen heraufsteigende Gestalt von Vergangenheit und Zukunf: Kinematographen-Bilder. Träume im Kristall. Traume im Glas. Herbstwind. Himmel. Meer. Spiegel. (Ah, aus diesem Spiegel kann ich es hören: lautloser Laut. Regen von weißen Skeletten, die auf den Grund des Meeres fallen wie lautloser Schnee. Laut des Todestriebs, der unablässig niederregnet im menschlichen Herzen. Empfindungen der lichtempfindlichen Tafel drunten im Meer. Funkelnd wie eine Silbertafel sinkt dieser Spiegel hinab auf den Meeresgrund. Ist zu sehen, wie dieser Spiegel untertaucht in das Meer meines Herzens. Eine schwache Silberfärbung in der Ferne vom blassen Mondlicht einer dunstigen Nacht. Ich liebe diesen Spiegel. Bin etwa ich zum mitleiderregenden Spiegel geworden?) Während die Dame die Oberlippe mit dem Lippenstif nachzog, bemerkte sie nicht, wie unter dessen Päonienrot ihre Wangen bleicher wurden. Sollte der neue Spiegel die Art ihres Make-up verändert haben, konnte es daran liegen, daß sie dachte: (Vielleicht gibt es in der Embryologie eine Teorie, die einer Frau, die ein Kind der Untreue geboren hat, zum Vorteil gereicht?) Doch in Wahrheit war diese Überlegung nur darauf abgestellt, einen anderen bedrohlicheren Gedanken auf dem Grund ihres Herzens zu verschließen. (Pipette Pipette. Ach, was denn die Flüssigkeit ist, die aus ihr tropf, weiß allein mein Mann. Wäre es nun die eines anderen Lebewesens … nein! nie, solange diese Welt besteht, könnte es eine Frau gegeben haben, tiefer betroffen von Scham und Schande.) Und mit einem Male, als wäre er eine Tür aus Eis, schloß die Dame den linken Seitenspiegel, der das Glasdach im Gewächshausstil reflektierte.
    Indessen machte sie keine Anstalten, den Toilettentisch aus seiner gegenwärtigen Stellung zu rücken.
    »Sag mal, du genießt es wohl, dich zu schminken?« »Aber ich möchte ja so recht wie ein junges Mädchen dich lieben! Wann war ich hübscher: bevor du mir diesen Spiegel gekauf hast oder danach?«
    »Man sagt: eine Heroine wirkt um so tragischer, je schöner sie geschminkt ist. Und das leuchtet mir ein.« »Nun, mir scheint, ein Haushalt hat nichts von einer Tragödienbühne. Er ist eher wie die Garderobe hinter den Kulissen. Und die Garderobe …« Die Dame hatte unbedacht darauflos geredet, wußte dann plötzlich nicht weiter und sagte: »Hör doch bitte auf, mich immer wieder mit irgendwelchen Vergleichen zu belegen!« »Genau das ist, was ich sagen wollte. Du kommst mir vor wie einer von diesen altmodischen symbolistischen Dichtern. Die haben versucht, Wissenschafsbrocken in die Sprache ihrer Gedichte hereinzuholen, aber in der Wissenschaf gibt es nun einmal keine Symbole für die Gefühle einer Frau.«
    »Ist er denn nicht ein schrecklich kalter Mensch, der Mensch, der keine Symbole hat?« »Der Frau ist eine tiefe Symbolik unfaßbar. Davon sind die Wissenschafler überzeugt. Dennoch kommt es vor, daß die Frau dem Beruf ihres Mannes einen leicht poetischen Ausdruck zu geben versucht.« »So? Nun, ich verstehe. Du willst sagen, nur solange die Frau sich schminkt, vergißt sie solche Poesie. Deshalb also hast du mir diesen Spiegel gekauf. Einen Spiegel noch dazu mit drei Flächen, damit ich um so mehr Dinge vergesse, bis ich schließlich selber verschwunden bin. Das ist es, nicht wahr?«
    Immer wieder einmal kam es vor dem Spiegel zu einem Wortwechsel wie in dieser Szene; mithin schien der für das Haus eines Wissenschaflers allzu luxuriöse Toilettentisch die Wirkung nicht zu tun, die sich der Mann erhof hatte, und so sagte er eines Tages unvermittelt: »Es ist doch sehr einsam hier, wenn kein Hund da ist. Aber diesmal wünschte ich uns doch einen mit Stammbaum.«
    »Ja schon, aber man wird sagen, das
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