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Tränen aus Feenstaub

Tränen aus Feenstaub

Titel: Tränen aus Feenstaub
Autoren: Natascha Artmann
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Oder nicht? 
    Das war die Frage. Es hatte ihn verrückt gemacht, nicht zu wissen, warum er in Pinas Traumwelt gefangen war. Aber die Information, die er jetzt durch Pina erhalten hatte, wollte er vielleicht gar nicht haben. Nicht nach dem zu urteilen, wie er sie ansah, kaum dass sie die Worte hinaus gebrüllt hatte.
    Wie war das gleich noch mit Überbringern schlechter Nachrichten? Wurden die in früheren Zeiten nicht geköpft oder so etwas ähnliches? Nach Finns zorniger Miene zu schließen, hätte er das mit ihr auch gerne gemacht.
    Pina konnte es ihm nicht verdenken. Sicher wollte er sie nicht noch einmal zu Gesicht bekommen. Höchstens um seine Hände um ihren Hals zu legen und schön langsam zuzudrücken. Ja, das war am wahrscheinlichsten.
    Aber im Grunde genommen war sich Pina sowieso sicher, dass es besser wäre, Finns Gesellschaft von jetzt an zu meiden. Er wollte sie ganz bestimmt nicht noch einmal sehen und nichts mehr mit ihr zu tun haben. Darum musste sie sicherstellen, ihre Traumwelt nicht noch einmal zu betreten. Und die einfachste Methode lag zuerst einmal darin, nicht wieder einzuschlafen. Wenigstens solange, bis sie sich eine neue Traumwelt erschaffen hatte.
    Um diesen Plan in die Tat umzusetzen, beschloss Pina aufzustehen und sich zu beschäftigen. Sie begann damit die Laken ihres Bettes glattzustreichen und Kissen und Bettdecke aufzuschütteln. Dann nahm sie sich ihren Tisch vor, auf dem Schul- und Zeichensachen lagen. Sie machte Stapel von jedem Themengebiet. Mathebuch zu Matheheft, Englischbuch zu Übungsheft und Karteikarten. Bei ihren Zeichensachen sortierte sie die fehlgeschlagenen Skizzen aus und warf sie in den Papierkorb. Danach spitzte sie noch alle ihre Holzstifte fein säuberlich an.
    Als auch diese Aufgabe erledigt war, saß Pina ratlos auf ihrem Stuhl. Sie hatte nicht einmal genügend Zeit überbrückt, bis die Station zu ihren morgendlichen Aktivitäten erwachte. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als zu lernen oder zu malen.
    Pina entschied sich für das Malen. Die beste Methode um abzuschalten und die Zeit zu vergessen. Aber das Unterbewusstsein ließ sich nicht so leicht überlisten. Denn als Pina nach dem Frühstück das Bild, das sie gemalt hatte, betrachtete, erschrak sie.
    Die fast vollendete Zeichnung hatte als Motiv ein Segelschiff, dass sich seinen Weg durch die raue See bahnte. Und am Bug dieses Schiffes hatte sie, in schönen geschwungenen Buchstaben, den Namen des Seglers verewigt, Season of the Clouds.
    Pina war so über das erschrocken, was sie im Unterbewusstsein getan hatte, dass sie ein Buch nahm und auf die Zeichnung warf, um sie nicht mehr ansehen zu müssen.
    So würde es nicht funktionieren, all die Dinge aus ihrem Gedächtnis zu löschen, die sie mit Meer, Schiffen und mit Finn verband. Und auch das Bild, das sie vor einigen Tagen von dem Biker gemalt hatte, konnte sie nicht länger an ihrer Wand hängen lassen. Also nahm sie es ab und steckte es ganz hinten in ihre Zeichenmappe. Jetzt fühlte sie sich ein wenig leichter und dieses Gefühl hielt auch die nächsten Stunden an.
    Am Vormittag kam Pinas Mutter für ein paar Stunden, am Nachmittag erbot sich Pina, mit Tobi ein paar Brettspiele zu machen und am Abend las sie sogar noch einigen der ganz kleinen Patienten eine Gute-Nacht-Geschichte vor.
    Die Schwestern waren begeistert. Für sie sah es so aus, als ob Pina einen besonders guten Tag gehabt hätte. Und auch Anita, die Schwesternschülerin, wertete den Besuch bei dem Komapatienten am vergangenen Abend jetzt ganz anders: Als freundliche Anteilnahme von Pinas Seite.
    Doch je näher die Zeit kam, an der Pina schlafen gehen sollte, umso nervöser wurde das Mädchen. Sie hatte schon den ganzen Tag erfolgreich der Müdigkeit getrotzt. Aber sie wusste nicht, wie lange sie ihrem Schlafbedürfnis noch widerstehen konnte. Sie wollte nicht die Kontrolle verlieren und zurück in ihre Traumwelt gehen.
    Aber was ihr mehr als alles andere zu schaffen machte, war der Gedanke an den  Finn, der nur zwei Stockwerke unter ihr auf seiner Station lag. Sie fragte sich, ob irgendwer nach ihm gesehen hatte. Jemand, dem er etwas bedeutet, nicht nur Ärzte und Schwestern.
    Hatte ihn seine Familie besucht? Oder hatte sich wenigstens ein Freund zu ihm gesetzt? Sie wusste es nicht und das macht ihr zu schaffen. So konnte sie den Tag nicht zu Ende gehen lassen, jetzt wo sie über Finns Zustand Bescheid wusste.
    Pina löschte das Licht in ihrem Zimmer und schlüpfte auf den Gang
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