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Totgekuesste leben laenger

Totgekuesste leben laenger

Titel: Totgekuesste leben laenger
Autoren: Kim Harrison
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Mal mit Herzrasen und Atemaussetzern rumschlagen musste, sobald ich vor irgendwas Angst hatte. Barnabas sagte zwar, dass die Sinneswahrnehmung immer schwächer würde, je länger ich tot war, aber im Moment wartete ich immer noch darauf Peinlich war das.
    Mit gesenktem Blick trat ich zur Seite, um drei Jungs und drei Mädchen vorbeizulassen, die in Richtung Bootsanlegeplatz schlenderten. Sie alle trugen Flipflops und Shorts und die Mädchen quasselten miteinander, als wüssten sie nichts von den Sorgen dieser Welt. Alles schien normal - bis ein Schatten über mich hinwegflog.
    Schwarzflügel, dachte ich und unterdrückte einen Schauder. Für Lebende sahen sie wie Krähen aus, wenn sie sie überhaupt bemerkten. Die schleimigschwarzen Membranen waren von der Seite kaum zu erkennen, sie formten nur eine seltsam helle, schimmernde Linie. Diese Schmarotzer ernährten sich von den Seelen derjenigen, die den schwarzen Todesengeln zum Opfer gefallen waren. Wenn mein gestohlenes Amulett mich nicht beschützen würde, hätten sie sich schon längst auf mich gestürzt. Die weißen Engel blieben bei den Toten und beschützten ihre Seelen, bis sie von der Erde fort begleitet werden konnten.
    Als ich zu Barnabas hinübersah, musste ich seine Gedanken gar nicht hören, um zu wissen, dass für jemanden aus dieser Gruppe ein früher Tod auf dem Plan stand. Doch wer war das Opfer? Barnabas' Boss hatte uns nur eine vage Beschreibung gegeben. Also mussten wir uns ganz auf Barnabas' Intuition und seine Fähigkeit, eine Aura zu erkennen, verlassen. »Und, weißt du schon, wer das Opfer ist?«, fragte ich. Barnabas zufolge hatte eine Aura einen verräterischen Schimmer, der auf das Alter der Person hinwies – was ihm auch irgendwie die Entschuldigung dafür lieferte, dass er mich nicht hatte beschützen können.
    Es war an meinem Geburtstag passiert und er arbeitete nur mit Siebzehnjährigen. Kurz bevor das Auto sich überschlug, war ich aber noch sechzehn gewesen, und als ich offiziell siebzehn wurde, starb ich ja auch schon.
    Barnabas kniff die Augen zusammen, die sich einen Augenblick lang leicht silbrig färbten, als er das Göttliche zurate zog. Bei dem Anblick bekam ich immer die totale Gänsehaut. »Schwer zu sagen«, antwortete er. »Die sind alle siebzehn außer dem Mädchen im roten Badeanzug und dem kleinen dunkelhaarigen Typen.«
    »Und was ist mit dem Todesengel?«
    Keiner von ihnen trug ein Amulett - aber da die Steine jede erdenkliche Form annehmen konnten, hatte das nicht viel zu bedeuten. Es bewies nur, welche Fähigkeiten ich alle noch nicht besaß.
    Er zuckte mit den Schultern, den Blick immer noch auf die Gruppe gerichtet. »Kann sein, dass der noch gar nicht hier ist. Seine oder ihre Aura wird sowieso aussehen, als wäre sie siebzehn, genau wie unsere. Ich kenne nicht alle schwarzen Todesengel vom Sehen und sicher weiß ich es erst, wenn er das Schwert zieht.«
    Schwert ziehen, in einen Menschen stechen, Vollstreckung beendet. Wie schön. Wenn man erst wusste, von wem die Bedrohung ausging, war es schon zu spät.
    Ich sah den Schwarzflügeln zu, die wie Möwen über dem Anlegeplatz kreisten. Barnabas neben mir hampelte nervös herum. »Du willst ihnen folgen?«, fragte ich weiter.
    »Ja.«
    Es war zu spät, die Protektion jemand anderem zu übertragen. Mein nicht mehr vorhandenes Herz schien schneller zu klopfen - ein schattenhaftes Überbleibsel meines Lebens, das mein Kopf noch nicht loslassen wollte. Ich griff nach Barnabas' Arm. »Komm, wir erledigen das jetzt.«
    »Nein, wir gehen«, widersprach er, aber seine Füße marschierten schon los.
    Ich sah zu, wie unsere Sneakers vollkommen synchron den Boden berührten. »Ich setz mich auch ganz still hin. Was ist denn schon dabei?«
    Unsere Schritte hallten hohl unter dem Bootssteg wider. Er zwang mich, stehen zu bleiben. »Madison, ich will nicht schon wieder einen Fehler machen«, erklärte er und drehte mich so, dass ich ihm ins Gesicht sehen musste. »Wir gehen. Und zwar sofort.«
    Ich sah an ihm vorbei. Das Licht war so hell, dass ich die Augen zusammenkneifen musste. Der Wind hatte aufgefrischt und ich schauderte, als eine schwarz triefende Membran auf einem der Pfähle landete und wartete. Die ahnungslose Gruppe diskutierte weiter mit dem Dockmeister. Wenn wir jetzt gingen, würde jemand sterben. Ich hatte nicht vor zu gehen. Als ich gerade Luft holte, um Barnabas davon zu überzeugen, dass ich bereit dafür war, rief eine Stimme aus der Dockmeisterhütte:
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