Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenwache

Totenwache

Titel: Totenwache
Autoren: Anna Jansson
Vom Netzwerk:
sachlicher Stimme.
    »Nein, natürlich nicht. War Ihr Mann schon mal nachts unterwegs, ohne von sich hören zu lassen?«
    »Nein. Oder doch, als einmal ein Flugzeug verspätet war. Aber damals habe ich vom Flugplatz bestätigt bekommen, dass es sich um eine Verspätung handelte. Und letzten Herbst, aber das war nur ein dummes Missverständnis. Ich hatte mich im Tag geirrt. Darüber hinaus ist es in den fünf Jahren, in denen wir jetzt verheiratet sind, niemals vorgekommen. Ich habe auch bei der Notaufnahme im Krankenhaus angerufen, aber dort wurde kein Mann im Alter von fünfundvierzig Jahren eingeliefert. Wir müssen ihn finden. Es ist eine Qual, nicht zu wissen, wo er ist!«
    »Ja, das ist es«, bestätigte Maria und merkte, wie ihr das Atmen schwerer fiel. Es war erst ein halbes Jahr her, dass ihre Tochter Linda verschwunden gewesen war. Kriminalinspektorin Maria Wern wusste sehr wohl, was Ungewissheit bedeutete.

    Der Besitzer der Goldenen Traube, der auch der Oberkellner war, trug einen Pyjama, als er seine Haustür öffnete. Auf seiner behaarten Brust prangte eine dicke goldene Kette. Das lockige braune Haar mit den leicht silberfarbenen Schläfen war zurückgekämmt. Ein Duft von Old Spice schlug ihnen entgegen. Damit nicht genug. Ehe Maria sich versah, wurde ihr die Hand geküsst. Beinahe wäre sie vor Schreck rückwärts durch die Tür gestolpert. Für Rosmarie war das offenbar ganz alltäglich. Sie streckte höflich die Hand aus, und das wurde gebührend gewürdigt.
    Mit einem unterwürfigen Lächeln wies der Oberkellner die Damen in seine Musterküche. Maria fiel ein uralter James-Bond-Film ein, den sie zusammen mit Krister gesehen hatte, nachdem er endlich zugegeben hatte, dass Liebesfilme ihn langweilten. Mr. Bond hatte überall in seiner Küche Kupfertöpfe, hohe und flache, reihenweise frisch geputzte und blitzende Kochtöpfe, Kasserollen, Restaurantpfannen, Soßenschüsseln und Servierplatten. Als sie das Kino verließen, hatte Maria nur einen Gedanken: Wer putzt all die Töpfe für Mr. Bond? Sich James selbst mit gestreifter Schürze vorzustellen, mit einem Putzmittel und einem weichen hellblauen Stofffetzen, der von einer ausgedienten Jeans stammte, würde wohl jedem Bond-Liebhaber Verdauungsprobleme bereiten. Die gleiche Frage hing in dem blendenden Küchentempel des Oberkellners in der Luft. Wer putzt das alles?
    »Was darf ich den Damen anbieten? Kaffee, Espresso, Cappuccino? Vielleicht einen Toast mit Ei?« Der Oberkellner schlief offenbar mit dem Bestellblock in der Hand.
    »Kaffee, sehr gern, danke.« Rosmarie Haag antwortete für sie beide.

    Gerüchteweise war der Besitzer der Goldenen Traube ein Mann mit einer großen Schwäche für hübsche Frauen, je üppiger, umso besser. Soweit man wusste, war er immer Junggeselle gewesen. Als sie alle drei dasaßen und frühstückten, kam Maria in den Sinn, dass der Oberkellner wohl niemals seine Frauen nach Hause gehen ließ, ohne dass sie ein reichhaltiges Frühstück bekommen hatten. Sonst wäre sein guter Ruf infrage gestellt worden. Es schien ihm auch kein bisschen peinlich zu sein, dass er im Pyjama auftrat, was auf eine gewisse Routine schließen ließ.
    »Erkennen Sie ihn?« Maria reichte ihm das Foto von Clarence Haag hinüber. Der Oberkellner zog seine Brille aus der monogrammgeschmückten Pyjamatasche und sah sich den Mann mit dem Goldzahn einen Augenblick an.
    »Selbstverständlich! Einer meiner Stammkunden. Nimmt öfter Geschäftsfreunde mit in mein Restaurant. Ich kann mir beinahe vorstellen, warum Sie hier sind. Aber das muss ich ganz offen sagen, Männer sind nun mal Männer, und ein Unglück geschieht so leicht. Das kommt in den besten Familien vor. Deshalb ist es klug, wenn man jeden Tag seine eigene Plage haben lässt.«
    »Was meinen Sie«, Rosmarie schnappte nach Luft. »Ist denn ein Unfall passiert?«
    »Ein Unglück kommt selten allein, und deshalb sitzen ja nun Sie beide hier«, scherzte der Oberkellner in einem schwachen Versuch, die Stimmung zu retten. »Er hat wohl etwas zu kräftig ins Glas geguckt, der gute Clarence, so was passiert nun mal. Muss man kein großes Theater draus machen. Es sind schon ganz andere als Freund Clarence nach solchen Mischungen umgekippt.«
    »Ins Glas geguckt? Was meinen Sie damit, hat Clarence Alkohol getrunken, bis er betrunken war?«
    »Na klar, Blumenwasser war das bestimmt nicht«, antwortete der Oberkellner und zog die Augenbrauen hoch.
    »Das glaube ich nicht. Er muss krank gewesen sein,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher