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Totenmond

Totenmond

Titel: Totenmond
Autoren: Sven Koch
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geklappt. Der Druck, unter dem Berner stand, war zu groß geworden, um ihn noch auf den Fetisch abladen zu können. Ihm wurde klar, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Ein Umstand, unter dem er gelitten haben musste, wie Alex annahm. Deswegen hatte er sich auf sie fixiert – in der stillen Hoffnung, dass sie beenden würde, was er selbst nicht beenden konnte.
    Bei der Hausdurchsuchung war unter anderem ein ausgeschnittenes und laminiertes Zeitungsfoto von ihr gefunden worden. Es hatte sich auch herausgestellt, dass Berner Alex bei anderen Gelegenheiten fotografiert und ihren Wagen sogar mit einem GPS-Sender versehen hatte. Er war ihr diverse Male gefolgt und hatte auf dem PC eine Sammlung mit Medienberichten aus dem Internet gespeichert, in denen Alex eine Rolle spielte.
    Warum er ausgerechnet sie und nicht irgendjemand anderes ausgesucht hatte, blieb unklar. Alex nahm an, dass es rein pragmatische Gründe hatte. Berner war gut bekannt, was Alex tat – nämlich solche wie ihn jagen. Sie lebte in Lemfeld, er lebte in Lemfeld, und vielleicht hatte er sich auch ein wenig in Alex verliebt.
    Verliebt, dachte Alex und blickte auf den Klingelknopf mit dem Namen »Lindberg« vor sich. Den mit dem abgenibbelten Hannah-Montana-Aufkleber. Wahrscheinlich hatte Mia den einmal angebracht.
    Mia. Mia war zunächst ins Klinikum gebracht worden. Inzwischen war sie wieder bei ihrer Mutter – fort aus Lemfeld. Ihr Leben war mit der Gewalt eines Erdbebens erschüttert worden. Die schreckliche Tat von Marc Berner hatte alles Kindliche mit sich gerissen und eine Verwüstung hinterlassen, deren Trümmer Stück für Stück abgetragen werden mussten, um Platz für Neues zu schaffen. Das würde nicht von heute auf morgen gelingen. Vielleicht nicht einmal in Jahren. Aber Mia war stark, dachte Alex. Dennoch würde manches für immer zurückbleiben. Mia war siebzehn. So alt wie Alex damals, als die Sache mit Benji geschehen war. Das Trauma prägte sie bis heute – und verglichen mit dem, was Mia erlitten hatte, waren Alex’ Erlebnisse Peanuts.
    Klar blieb jedoch eines, dachte Alex, nahm sich endlich ein Herz und drückte den Klingelknopf: Wenn sie Jan nicht kennengelernt hätte, wäre Mia niemals in Berners Fänge geraten.
    Alex wartete einen Moment. Schließlich meldete sich der Türsummer. Sie ging rein, hastete die Treppenstufen hinauf und sah Jan bereits an der Wohnungstür stehen. Er wirkte, als habe er in den letzten Nächten kein Auge zugetan. Hinter ihm standen zwei Plastikboxen auf dem Boden. Bei der linken handelte es sich um ein Katzenklo, bei der rechten um Hannibals Transportbox. Hanni saß bereits drin und maunzte leise durch die Gitterstäbe.
    »Hey«, sagte Jan und blickte Alex ausdruckslos an.
    »Hey«, antwortete sie und verlangsamte ihr Tempo. Sie machte eine Geste, als wollte sie ihn zur Begrüßung umarmen. Aber Jan stand da wie ein Eisberg, und deswegen ließ Alex die Hände wieder sinken.
    »Wie geht’s dir?«, fragte Jan.
    »Es ging mir schon wesentlich besser. Und Mia?«
    Jan verzog den Mund zu einem kraftlosen Lächeln. »Sie lässt dich grüßen.«
    Alex lächelte zurück und nickte. »Ich …«, begann sie, »… ich kann dir gar nicht sagen, wie schrecklich das ist. Ich wünschte einerseits, wir hätten uns nie kennengelernt, damit das alles nie geschehen wäre. Andererseits hätten wir uns dann nie kennengelernt und …« Sie machte eine unbestimmte Bewegung mit den Händen.
    »Du hast nie ein Wort darüber verloren«, sagte Jan. »Nie. Ich habe dich oft gefragt, was los ist, wenn du bedrückt warst. Ich hatte keinen Schimmer, was dahintersteckte und dass dich jemand verfolgt hat …«
    »Ich habe nie ein Geheimnis aus meinem Beruf gemacht.«
    »Aber, Alex. Bitte. Solche unfassbaren Dinge …«
    »Ich wollte nicht, dass du ein Teil davon wirst, Jan. Ich wollte nicht, dass das Böse in dein Haus kriecht.«
    »Hat nicht ganz geklappt, oder?«
    Die Worte trafen Alex direkt ins Herz. »Leider nicht.«
    »Tja.« Jan wich ihrem Blick aus und fasste nach hinten, um die beiden Plastikboxen anzuheben und sie Alex zu reichen. Sie nahm sie an. Er sagte: »Mia hat mir erzählt, dass du dein Leben für ihres geben wolltest. Hättest du das wirklich getan?«
    »Ja«, sagte Alex ohne Zögern.
    Weil es die Wahrheit war. Sie wäre für Mia gestorben. Sie hatte nicht einmal das Für und Wider abgewogen, als es darauf angekommen war. Sie wäre instinktiv dazu bereit gewesen. Aus Verantwortung und Gefühlen einem
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