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Totenmesse

Titel: Totenmesse
Autoren: Arne Dahl
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mit zwanzig lumpigen Zentimeter Stein zwischen uns, und wenn du mich erschießen willst, musst du es schräg von obendurch das Fensterloch tun. Und dann habe ich dich schon erschossen.«
    Â»Nennen wir es ein Remis?«, hörte Nyberg sich sagen.
    Wayne Jennings lachte. Es war ein unbekanntes Geräusch.
    Das Lachen hallte durch die Korridore und trug all die monströsen Erfahrungen in sich, die sich in den steinernen Wänden abgelagert hatten. Am Ende war es ein Gebrüll aus der Tiefe der Geschichte der westlichen Welt.
    Â»In diesem Spiel gibt es kein Remis«, sagte Jennings.
    Â»Nein«, sagte Nyberg. »Du hast verloren. Ich habe das Papier. Ich werde es gleich nach Stockholm faxen. Du kommst vor morgen nicht raus.«
    Â»Und dann jage ich dich.«
    Â»Warum? Um Rache zu nehmen? Ist das nicht ein bisschen unprofessionell?«
    Â»Für mein Selbstgefühl«, sagte Jennings.
    Gunnar Nyberg schwieg und dachte nach.
    Er suchte im Rucksack. Da drinnen lag Ludmilas Spiegel. Vorsichtig kroch er zum Fensterloch und hob den Spiegel hoch. Für einen kurzen Moment sah er Wayne Jennings zusammengekauert in der Ecke. Dann sah er, dass Jennings Hand zuckte, und ließ den Spiegel schnell sinken. Eine Kugel flog vorbei und schlug ein Stückchen weiter in die steinerne Decke ein.
    Â»Es könnte ein paar Querschläger geben«, sagte Jennings. »Sieh dich vor.«
    Nyberg hockte unter dem Fensterloch. Etwas ballte sich in ihm zusammen. Er sah Ludmila tot vor sich. Er sah sie mit einem Kopfschuss.
    Es muss sein, dachte er und hob die Pistole zu dem vergitterten Fensterloch.
    Er schloss die Augen.
    Ich bin du geworden, dachte er.
    Und dann leerte er das erste Magazin in der Richtung, die passend zu sein schien. Es dröhnte durch das Kellergewölbedes Dogenpalastes. Es schrie herzzerreißend in den Ohren.
    Als das Echo sich gelegt hatte, war es völlig still.
    Gunnar Nybergs Herz raste, als wollte es explodieren.
    Jesus Christus, was habe ich getan?
    Kein Laut.
    Schließlich hob er den Spiegel wieder zum Fensterloch. Jennings lag in seiner Ecke. Die Pistole mit dem Schalldämpfer auf dem Fußboden neben ihm. Aber Blut war nicht zu sehen.
    Â»Jennings?«, rief Nyberg. »Lebst du?«
    Keine Antwort. Er merkte sich Jennings Stellung und wartete. Wartete fünf, wartete zehn Minuten. Dann hob er wieder den Spiegel. Es war doch dieselbe Position? Er war sich nicht hundertprozentig sicher.
    Er ließ das leere Magazin aus der Luger gleiten und schob das volle hinein.
    Â»Ich werde jetzt noch einmal schießen, Wayne«, sagte er. »Damit du Bescheid weißt.«
    Und dann tat er es.
    Dieses Mal dröhnte es nicht so fürchterlich. Die schrecklichen Gewölbe schienen bereits vertrauter.
    Der Mensch kann sich an alles gewöhnen.
    Im Spiegel erschien diesmal ein rotes Loch mitten in Jennings Brust. Und ein Loch mitten auf der Stirn. Es gab keinen Zweifel mehr. Gunnar Nyberg hatte Wayne Jennings getötet.
    Trotzdem wartete er eine Viertelstunde.
    Es war eine Viertelstunde, über die er mit keinem Menschen sprechen würde. Die schwärzeste Viertelstunde seines Lebens.
    Er hob den Spiegel noch einmal. Jennings lag in derselben Position.
    Wie ein Fossil, in Stein gebettet.
    Gunnar Nyberg ließ den Spiegel sinken und weinte.
    Â»Du widerlicher Teufel!«, schrie er. »Was hast du mit mir gemacht?«

48
    In der Kampfleitzentrale war aus dem Samstag der Sonntag geworden. Sara Svenhagen hatte Kaffee gekocht, der Kühlschrank und die Vorräte in der Kaffeeküche waren geleert worden. Zumindest der schlimmste Hunger war gestillt.
    Wenn auch nicht jeder Hunger.
    In dem kleinen Konferenzraum, der sich seinen Namen plötzlich verdient hatte, saßen ein blau geprügelter Mann in den dreißigern und ein kultivierter kleinerer Mann in den fünfzigern. Vladimir Kuvaldin und Andreas Becker.
    Mit der fast kompletten A-Gruppe und ein paar anderen.
    Sie warteten.
    Sie warteten auf ein Fax aus Venedig.
    Aber erst kam ein Telefonanruf. Der Empfang war schlecht, als ob Gunnar Nyberg sich nicht draußen in der freien Luft befände. Kerstin Holm schaltete die Lautsprecherfunktion am Telefon ein, sodass Gunnar Nybergs Stimme durch die Kampfleitzentrale hallte. Sie war belegt, stumpf, obwohl nicht leicht zu sagen war, ob es am Empfang lag oder an Gunnar Nyberg.
    Â»Es ist vorbei«, sagte er.
    Â»Ist es gut gegangen?«, fragte Kerstin Holm
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