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Totenmesse

Titel: Totenmesse
Autoren: Arne Dahl
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Zurück gab.
    Er joggte ein wenig auf der Stelle, lockerte seine von der Arbeit etwas steif gewordenen Arme, warf sich den Rucksack über und machte sich auf den Weg. Er schloss die Tür zur Praxis sorgfältig hinter sich und trat auf den kleinen Platz hinaus. Er war menschenleer. Und von Jennings natürlich keine Spur. Außer einer überall spürbaren Anwesenheit.
    Nyberg machte sich auf den Weg zum Markusplatz. Er schlug die etwas östlicher gelegenen Gassen ein, überquerte einige kleinere Brücken und sah zu dem unbarmherzigen Himmelsgewölbe hinauf.
    Fünf Minuten vom Markusplatz entfernt atmete er tief ein. Die Nachtluft Venedigs duftete ganz und gar nicht schlecht. Sie duftete nach Leben. Noch einmal sog er das pure Leben tief ein, zog die Taschenlampe aus der Jackentasche und rannte los.
    Er lief durch die letzte kleine Gasse in Richtung Markusplatz und kam genau bei der kleinen Baustelle heraus.Er ließ den Lichtstrahl über die Plastikbänder huschen und zwängte sich durch das halb offene Steintor.
    Und befand sich in den Kellern des Dogenpalastes. Das Licht der Taschenlampe flackerte über die engen Steinwände des langen Korridors, der zu den Gefängniszellen führte. Er lief zwischen den Zellen umher, mit dem schwachen Lichtkegel als einziger Hilfe gegen das totale Dunkel. Und irgendwo im Hinterkopf hörte er das schwache Geräusch anderer Laufschritte.
    Er fand den Weg. Er kroch hinter die geöffnete Steintür, schaltete die Lampe aus und hielt den Atem an.
    Es gab eindeutig Schritte. Und da war eine Taschenlampe, aber eine ganz andere als seine. Ein extrem konzentrierter Strahl, fast wie Laser. Aber er sah ihn. Er hörte die Schritte. Und er sah die Gestalt.
    Nur ein paar Meter entfernt.
    Gunnar Nyberg hielt noch immer den Atem an.
    Er sah, wie der Lichtstrahl genau vor der Steintür an ihm vorbeizielte. Er sah, dass er in eine andere Richtung gehalten wurde. Ins Innere der Zelle.
    Und er sah ihn in der Zelle verschwinden.
    Mit aller Kraft drückte Gunnar Nyberg die Steintür zu und schob den Riegel vor.
    Er setzte sich vor die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Von drinnen hörte er ein paar dumpfe Tritte, und er begann wieder zu atmen. Aber was er einatmete, war nicht mehr Leben, sondern Tod. Jahrhunderte von Tod.
    Â»Clever, das mit den Schuhen«, hörte er eine Stimme in gebrochenem Schwedisch sagen. Sie kam aus dem anderen Korridor, neunzig Grad gegenüber. Dort befand sich das Fensterloch.
    Nyberg glitt hinüber und sah um die Ecke. Der schmale Lichtstrahl kam aus dem Fensterloch und sprang auf und ab.
    Â»Wenn auch ziemlich klassisch«, fuhr die Stimme fort. »Ich meine, das schon in einem schwedischen Kinderkrimigesehen zu haben. Ich hätte nicht darauf reinfallen dürfen. Ich werde alt.«
    Â»Jennings«, keuchte Nyberg. »Ich werde auch alt. Wir hätten uns nicht noch einmal begegnen dürfen.«
    Â»Ja, es war ein Fehler«, sagte Jennings’ vom Stein gedämpfte Stimme. »Du erinnerst dich sicher, dass ich dich am Leben gelassen habe. Unter der Voraussetzung, dass du mich aus deinem Bewusstsein streichst.«
    Â»Das war nicht so einfach«, sagte Nyberg.
    Â»Ich verstehe«, sagte Wayne Jennings. »Aber es gibt ständig neue Aufträge. Man muss eben gehorchen.«
    Dann war es ein paar Minuten still.
    Â»Du weißt, dass du mich nicht leben lassen kannst?«, sagte Wayne Jennings schließlich. »Denn dann jage ich dich.«
    Nyberg zog die Pistole aus dem Hosenbund und betrachtete sie. Er hatte noch nie einen Menschen getötet. So friedliebende Menschen wie Jan-Olov Hultin und Paul Hjelm hatten es getan, aber er, der eigentliche Gewalttäter der AGruppe, nicht. Nicht Gunnar Nyberg.
    Â»Ich werde dich und Ludmila jagen«, fuhr Jennings fort.
    Â»Du willst ja sterben«, rief Nyberg. »Du willst tatsächlich, dass ich dich töte.«
    Â»Du meinst, das will ich mit meinen Worten erreichen? Denk nach.«
    Nein, dachte Nyberg. Du willst mich zu einer unüberlegten Handlung provozieren. Ich habe in deine eisblauen Haifischaugen gesehen, und dort gibt es keinen Todestrieb. Aber auch keinen Trieb zum Leben.
    Indem du sagst »Denk nach«, willst du vielleicht doch sterben.
    Â»Die Frage ist, wie das gehen soll«, sagte Jennings. »Ich bin eingesperrt, aber ich bewache die einzige Öffnung wie ein Habicht. Ich sitze in derselben Ecke wie du,
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