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Totenkönig (German Edition)

Totenkönig (German Edition)

Titel: Totenkönig (German Edition)
Autoren: Uwe Siebert
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Geschichten über ein Ungeheuer, das von Zeit zu Zeit umgehe.“
    „Ein Ungeheuer?“
    „So nannten es die Sterblichen. Einige behaupteten sogar, sie hätten es gesehen. Sie beschrieben es als eine riesige Kreuzung zwischen Mensch und Fisch. Und einmal in einer stürmischen Nacht habe auch ich etwas gesehen, es waren leere weiße Augen, die aus dem Wasser eines Brunnenschachtes zu mir aufsahen, eine große Pranke streckte sich mir zu einer Berührung entgegen. Und dann, als hätte dieses Wesen erkannt, was ich bin, zog es sich zurück in die Tiefe des Brunnens.“
    Aus dem Mund einer Unsterblichen waren jene Worte so gewic htig, dass Larkyen sie nicht anzweifelte. Er selbst war im Verlauf seiner vielen Reisen bereits zu oft Kreaturen begegnet, deren Existenz er sich zuvor nicht hatte vorstellen können. Er wusste, dass die Welt noch immer zahllose Geheimnisse barg und sich ständig veränderte, ebenso oft, wie sich auch Meridias veränderte.
     
    Sie ritten an einer Festung vorbei, der wuchtige Steinbau besaß nur wenige Fenster, und vor einem Tor standen mehrere Soldaten. Ihre schweren Rüstungen verliehen ihnen ein bedrohliches Aussehen, die Schulterpanzer waren mit langen Eisennieten übersät, ihre schmalen Helme beidseitig gehörnt. Jeder Soldat trug einen scharlachroten Umhang, der ihn selbst auf überfüllten Straßen für jeden Meridianer deutlich als Angehörigen des Heeres auswies.
    Das Stadtreich Meridias verfügte über ein großes Heer, das es mit den Streitkräften anderer Länder ohne weiteres aufnehmen konnte. Die Soldaten wurden des öfteren dazu eingesetzt, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Sie patrouillierten insbesondere im Regierungsviertel der Stadt, zeigten sich jedoch auch in anderen Stadtteilen. Meistens waren es jedoch die Gilden, die auf den Straßen für Ordnung sorgten; oftmals war ihnen sogar das Recht eingeräumt worden, nach eigenem Ermessen mit Verbrechern und Störenfrieden zu verfahren, was manchmal die Todesstrafe mit sich zog.
     
    Ein solcher Stadtteil erstreckte sich vor ihnen. Am Straßenrand war eine Reihe von Galgen errichtet worden. Noch immer baumelten die Leichname dreier Frauen und vier Männer an ihren Stricken. Sie w aren noch nicht lange tot, dennoch waren ihnen die Augen bereits von den Krähen ausgepickt worden.
    „Die Velorgilde hat dieses Viertel also immer noch in ihrer G ewalt“, stellte Patryous beim Anblick der Gehenkten fest. „Jeder der hier vorbeireitet, soll diese Grausamkeiten sehen. Die Velors sind die stärkste Gilde in Meridias, sie werden meines Wissens noch immer von Lavandar dem Schrecklichen angeführt. Ihre Mitgliederzahl wird auf über zwölftausend geschätzt. Sie sind dafür bekannt, ihre Hinrichtungen öffentlich auf der Straße abzuhalten. Ich habe noch nie erlebt, dass es hier nicht nach Tod stank. Es gab jedoch eine Zeit, in der es anders gewesen sein soll, damals wurde der Hafen noch von einer anderen Gilde beherrscht. Doch Machtverhältnisse ändern sich.“ Sie deutete auf einen Hügel aufeinandergestapelter Steine, aus deren Mitte ein von Rinde befreiter turmhoher Baumstamm ragte. Er war ganz und gar mit blutigen Handabdrücken bedeckt. An dem Astwerk baumelten Messer, Schwerter und Äxte, die vom Wind getrieben aneinanderstießen und an die klirrenden Laute einer Schlacht gemahnten. „Das Märtyrerdenkmal“, sagte sie anklagend. „Es erinnert an all jene Krieger, die für die Velorgilde im Kampf gefallen sind. Bevor sie in die Schlacht zogen, tränkten sie ihre Hände im warmen Blut eines geschlachteten Stiers und hinterließen an diesem Stamm ihre Abdrücke. Berauscht vom schwarzen Lotus, waren sie im Angesicht ihrer Feinde frei von Angst oder Schmerzen. Sie wollten sterben. Und es heißt, die Familien der Toten erhielten vom Oberhaupt der Gilde großzügige Geschenke wie Gold und Edelsteine, oder sogar Grund und Boden im Ostteil der Stadt. Nach der Schlacht wurden die Waffen der Gefallenen hier aufgehängt. An vielen Klingen und Axtblättern klebt noch immer das Blut ihrer Feinde.“
     
    Die Unsterblichen näherten sich dem Hafen. Die Luft roch nach Fisch, und der Gestank von Moder, der sonst überall nur aus der Gosse drang, war hier besonders stark. Zu beiden Seiten der Straße standen Lagerhäuser, manche davon in schäbigem Zustand, das Holz war wurmstichig oder gefault. Zwischendurch gab es Wirtshäuser und Bordelle, die zumeist einen ähnlichen Anblick wie die Lagerhäuser boten. Dennoch tummelten sich vor
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