Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenheer (German Edition)

Totenheer (German Edition)

Titel: Totenheer (German Edition)
Autoren: Uwe Siebert
Vom Netzwerk:
Angriff gestorben, ich aber lebte, veränderte mich und wurde mächtiger. Meine Wunden verheilten, ohne Narben zu hinterlassen, und ich war erfüllt von dem Hunger nach Lebenskraft.“
    Ihre Lippen bebten noch lange nach dieser Erzählung; die Erinn e rung an ihre Verwundbarkeit und Schwäche berührte sie nach so la n ger Zeit mehr als Larkyen gedacht hatte. Aber manchmal erging es ihm selbst nicht anders, denn es gab Na r ben, die für immer in den dunkelsten Kammern des Verstandes zurückblieben.
     
    Mit der untergehenden Sonne breiteten sich die Schatten in den Wäldern weiter aus. Ein Regenschauer setzte ein, und Windb ö en trieben die Blätter aus den Baumkronen. Sie betraten ein weiteres Schlach t feld, wo das Erdreich mit menschlichen Gebeinen durchsetzt war. Inmitten des Massengrabes Kentar glaubte Larkyen abermals, die Toten flüstern zu hören. Ihn b e schlich des öfteren das Gefühl, mit Patryous nicht allein zu sein, manchmal glaubte er sich sogar be o bachtet. Doch er war sich gewiss, dass niemand anderes in ihrer N ä he war und er seinen übermenschlichen Sinnen trauen konnte.
    Längst hatte die nasse Kälte in ihre Kleider gefunden. Die Unsterblichen ertrugen die Witterung ohne weiteres. Dem G e fühl zu frieren haftete für sie nichts Bedrohliches an, ganz gleich wie eisig der Wind noch werden würde. Viel eher war es ein aufkommendes Unbehagen, das sie ihre Mäntel und Felle über die Schultern ziehen ließ.
    Seit Einbruch der Dämmerung setzten sie ihren Weg schweigend fort. Zumeist lief Larkyen einige wenige Schritte voraus. Es war se i ne Reise, und er war es, der führte. Und auch wenn er bisher nicht auf jene Spuren der Vergangenheit gest o ßen war, nach denen er so verzweifelt suchte, so hatte er etwas a n deres gefunden, womit er nicht gerechnet hatte.
    Wann immer seine Gedanken sich der Unsterblichen an se i ner Seite zuwandten, war er sich bewusst, dass zwischen ihnen so etwas wie ein unsichtbares Band entstanden war. Und längst konnte Larkyen nachvollziehen, warum sein einstiger Mentor Tarynaar ihr seine Liebe geschenkt hatte. Sie war nicht nur wunderschön mit ihren zarten Gesichtszügen, den hohen Wa n gen und dem seidigen schwarzen Haar, sondern auch von edler und erhabener Gesinnung, wie sie nur den ältesten und weise s ten Königen zugesprochen wird.
    Anfangs empfand er derartige Gefühle noch als unang e bracht, weil er glaubte, Rücksicht auf ihre Trauer nehmen zu müssen. Doch sie verstanden einander ohne Worte. Manchmal war es ein Blick oder ein Lächeln, manchmal sogar eine flüc h tige Berührung. Diese Momente vermochten selbst sein Herz zu erfüllen und erschienen in einer Zeit, in der nur die Stärk s ten übe r lebten, kostbarer denn je.
     
    Der Boden senkte sich zu einer steilen Böschung. Von dort konnte Larkyen die tiefer liegende Umgebung überblicken. Durch den Mond in fahles Licht getaucht, erstreckte sich der Wald bis zum Horizont. Vereinzelt stiegen Nebelbänke auf und verschleierten die weitere Sicht. Er hatte gehofft, den Palast b e reits erblicken zu können, doch wenn irgendwo dort unten ein Gebäude sein sollte, so wurde es von der Natur gut versteckt gehalten.
    „Die Pferde brauchen eine Rast“, sagte Patryous. „Sie sind erschöpft.“
    Larkyen trat auf den Kedanerhengst zu, und er strich seinem Pferd durch die dichte Mähne.
    „Mein treuer Alvan“, flüsterte er, „du sollst bekommen, w o nach es dir verlangt.“
    Sie waren bereits einen vollen Tag ohne Rast unterwegs. Sei t dem er die Grenzen Kentars überschritten hatte, war er von einer Neugierde übermannt worden, die ihn manchmal verge s sen ließ, dass die Kraftreserven aller sterblichen Wesen keine s falls unermesslich waren.
    „Wir werden hier bleiben. Bei Morgendämmerung ziehen wir we i ter.“
     
    Als der Regen wieder aussetzte, kehrte ein Moment völliger Ruhe ein. Fast schien es, als hielte die ganze Welt den Atem an. Lange s a hen sich Larkyen und Patryous an. Wieviel teilten sie mittlerweile zusammen. Ihrer beider Vergangenheit war voller Verluste gewesen, doch auch Larkyen glaubte, dass je g liche Gefühle vergänglich w a ren, sei es Hass, Schmerz, Trauer oder sogar Liebe. Selbst für die Unsterblichen galt es, den A u genblick zu leben und sich ganz ihren Gefühlen hinzugeben, wenn die Zeit dafür gekommen war.
    Nun war es Zeit, die Verluste der Vergangenheit endlich hinter sich zu lassen. Und als würden sie auch diesen Geda n ken te i len, formten sich Patryous` Lippen zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher