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Totengrund

Totengrund

Titel: Totengrund
Autoren: Tess Gerritsen
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an, wenn sie aus dem Schatten trat und sich der ganzen Welt zu erkennen gab.
    »Ist das Labor sich ganz sicher, was das Ergebnis betrifft?«, fragte Jane nach. »Maura ist nämlich vom Gegenteil überzeugt.«
    Maura sah sie an. »Welches Ergebnis?«
    »Ja, ich richte es ihr aus. Vielleicht kann sie es ja erklären. Wir sehen uns dann beim Abendessen.« Sie legte auf und sah Maura an. »Gabriel hat gerade mit dem Toxikologielabor in Denver gesprochen. Sie haben den Mageninhalt dieses Mädchens analysiert.«
    »Haben sie Phosphorsäureester gefunden?«, fragte Maura.
    »Nein.«
    Maura schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber es war ein klassischer Fall von Phosphorsäureester-Vergiftung! Die klinischen Symptome waren alle vorhanden.«
    »Sie hatte keinerlei Abbauprodukte im Magen. Wenn sie dieses Pestizid geschluckt hätte, dann müssten doch noch Reste davon vorhanden sein, oder?«
    »Ja, das stimmt.«
    »Nun, da war aber nichts«, sagte Jane. »Das ist es nicht, was sie umgebracht hat.«
    Maura schwieg einen Moment. Sie konnte sich dieses Ergebnis nicht erklären. »Es ist auch möglich, eine tödliche Dosis über die Haut aufzunehmen.«
    »Einundvierzig Menschen wurden mit dem Zeug besprüht ? Klingt das etwa wahrscheinlich?«
    »Die Analyse des Mageninhalts muss fehlerhaft sein«, sagte Maura.
    »Sie schicken die Proben noch für weitere Analysen ins FBI-Labor. Aber im Moment sieht es so aus, als hättest du mit deiner Diagnose falschgelegen.«
    Ein Lastwagen mit Medizinbedarf rumpelte auf den Parkplatz und hielt neben ihrem Wagen. Maura versuchte, sich auf das Problem zu konzentrieren, während die Heckklappe des Lasters sich ratternd absenkte und zwei Männer Sauerstoffflaschen zu entladen begannen.
    »Gruber hatte extrem verengte Pupillen«, sagte Maura. »Und er hat definitiv auf diese Atropingabe reagiert.« Sie setzte sich auf, überzeugter denn je. »Meine Diagnose muss richtig sein.«
    »Was könnte diese Symptome noch hervorgerufen haben? Gibt es noch einen anderen Giftstoff – einen, den das Labor vielleicht nicht feststellen konnte?«
    Das laute Scheppern von Metall riss Maura aus ihren Gedanken, und sie drehte sich verärgert zu den beiden Lieferanten um. Ihr Blick blieb an den Sauerstoffflaschen hängen, die wie grüne Raketen auf dem Transportwagen aufgereiht standen, und plötzlich war die Erinnerung wieder da. Es war etwas, das sie im Tal von Kingdom Come gesehen hatte, dem sie aber zu dem Zeitpunkt keine Beachtung geschenkt hatte. Es war zylinderförmig gewesen, wie diese Sauerstoffflaschen, aber grau und mit Schnee verkrustet. Sie dachte an den Alarm im Obduktionssaal, erinnerte sich an Fred Grubers verengte Pupillen und seine Reaktion auf das Atropin.
    Meine Diagnose war fast korrekt.
    Fast.
    Jane stieß ihre Tür auf und stieg aus, doch Maura blieb auf ihrem Platz sitzen. »He«, sagte Jane und schaute zu ihr herein. »Wollten wir nicht den Jungen besuchen?«
    Maura sah sie an. »Wir müssen nach Kingdom Come fahren.«
    »Was?«
    »Es ist nur noch ein paar Stunden hell. Wenn wir gleich losfahren, können wir noch vor Einbruch der Dunkelheit dort sein. Aber vorher müssen wir noch kurz in einem Baumarkt vorbeischauen.«
    »Im Baumarkt? Wozu?«
    »Ich will eine Schaufel kaufen.«
    »Sie haben sämtliche Leichen geborgen. Da draußen ist nichts mehr.«
    »Vielleicht doch.« Maura bedeutete Jane, wieder einzusteigen. »Komm schon, lass uns keine Zeit verlieren! Wir müssen sofort losfahren.«
    Seufzend setzte Jane sich wieder ans Steuer. »Wir werden zu spät zum Abendessen kommen. Und ich habe noch nicht mal angefangen zu packen.«
    »Es ist unsere letzte Chance, uns im Tal umzusehen. Unsere letzte Chance, zu verstehen, was diese Menschen umgebracht hat.«
    »Ich dachte, das hättest du schon herausgefunden.«
    Maura schüttelte den Kopf. »Ich habe mich geirrt.«
    Es ging die Bergstraße hinauf, dieselbe Straße, die Maura an jenem Unglückstag mit Doug und Grace, Elaine und Arlo gefahren war. Sie konnte immer noch ihre Stimmen hören, ihren Streit um den richtigen Weg; sie sah immer noch Graces trotzig vorgeschobene Unterlippe und hörte Doug mit seinem unerschütterlichen Optimismus erklären, dass alles gut ausgehen würde, wenn sie nur dem Universum vertrauten. Geister, dachte sie; Geister, die immer noch an dieser Straße spuken. Und in meinem Kopf.
    Heute schneite es nicht, und die Straße war geräumt, aber Maura sah sie vor ihrem inneren Auge so, wie sie ihr an jenem Tag erschienen war,
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