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Tote Stimmen

Tote Stimmen

Titel: Tote Stimmen
Autoren: Steve Mosby
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kleines silbernes Kreuz an einem Kettchen sehen, das, wie ich später erfuhr, ihrer vor vier Jahren verstorbenen Schwester gehört hatte. Ihr Gesicht war hübsch, nicht schön, aber sie hatte etwas, das mich auf sie aufmerksam werden ließ, sobald ich mich hingesetzt hatte. Während des ersten Teils meiner Vorstellung war sie still gewesen, saß meistens einfach da und lächelte vor sich hin, als sei sie damit zufrieden, den Abend aus der Distanz zu genießen und ihren eigenen Gedanken nachzuhängen.
    Damals wusste ich es noch nicht genau, aber es verhielt sich so mit Tori: Den meisten Leuten wurde, bis sie erst mal Mitte zwanzig sind, schon übel mitgespielt, und sie sind dementsprechend verhärtet. Sie brauchen länger, bis sie jemandem Vertrauen entgegenbringen, bis die harte, schützende Schale, mit der sie sich umgeben haben, weich wird. Aber Tori war anders; ohne Misstrauen bot sie ihr ganzes Wesen rückhaltlos dar. Das gibt es nur selten.
    »Also«, sagte ich. »Sag mir bitte, wann ich anhalten soll.«
    Ich hielt ein Kartenspiel mit der Bildseite nach unten und fuhr langsam mit dem Daumen am Rand der Karten entlang.
    »Halt.«
    Ich stoppte kurz vor der Mitte des Stapels, hob den Rest der Karten ab und hielt sie hoch, damit alle am Tisch sie sehen konnten.
    »Das ist die Karte, die du gewählt hast. Ich habe keine Ahnung, welche es ist, aber merk sie dir bitte.«
    »Okay.«
    Ich legte die Karten wieder auf den Stoß und gab ihn ihr.
    »Geh die Karten durch und überprüfe, ob sie alle unterschiedlich sind, damit du sicher bist, dass ich nicht schwindle.«
    Ich sah zu, wie sie die Karten auffächerte. Ihre feingliedrigen Hände bewegten sich mit großer Präzision.
    »Gut. Jetzt meinst du vielleicht, ich weiß, an welcher Stelle im Stoß deine Karte ist, deshalb möchte ich, dass du sie mischst, so oft du willst.«
    Das tat sie ganz systematisch und ohne Eile.
    Dann gab ich ihr noch ein paar Anweisungen, was sie alles tun sollte. Am Ende waren die Karten gemischt, abgehoben, wieder ins Spiel gegeben, und sie hatte einen in der Nähe stehenden, etwas verwirrten Mann ausgewählt, der den wieder geordneten Kartenstoß für uns hielt.
    Ich sah ihr in die Augen.
    »Also. Ich kann ihn nicht sehen. Er macht keine Geräusche oder gibt mir sonstige Zeichen. Stimmt’s?«
    »Stimmt.«
    Wir beugten uns jetzt beide etwas vor, und sie sah mich belustigt und keineswegs eingeschüchtert an. Ich bemerkte, dass ihr Gesicht zwar nur hübsch, ihre großen braunen Augen aber wunderschön waren. Einen Moment drohte der Trick zu misslingen.
    »Okay.« Ich atmete tief ein, strengte mich dabei anscheinend sehr an und fragte dann wie nebenbei den Mann: »Sir? Würden Sie mir sagen, ob Sie rauchen?«
    »Ääh, ja.«
    Ich nickte kurz, als spiele das eine Rolle. »Dachte ich mir. Tori, würdest du mir einen Gefallen tun und unter dem Aschenbecher nachsehen, bitte?«
    Sie griff über den Tisch, hob den Aschenbecher hoch, und da lag, mit der Bildseite nach unten, eine einzelne Karte.
    »Ist das die Karte, die du ausgesucht hast?«
    Beim Anheben bog sich die Karte leicht, dann, als sie sie umdrehte, erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht.
    »Ja.« Sie sah zu dem Mann hinüber, der das Kartenspiel hielt, dann wieder zu mir, und es fühlte sich an, als schlage mein Herz ein bisschen schneller. Aber nur kurz. »Na ja, das ist schon eindrucksvoll.«
    Ich lächelte und stand auf. »Danke.«
    Ich hatte drei Paare in der Gruppe am Tisch ausgemacht, wenn man Choc, Cardo und dann sie beiseiteließ. Deshalb hatte ich mich für diese bestimmte Karte entschieden. Ein kleiner zusätzlicher Trick, auf den Rob schwor und mit dem er gelegentlich angab. Ich war nicht besonders gut mit gefühlvollen Sprüchen bei der Anmache, aber irgendetwas an Tori ließ mich denken:
Warum eigentlich nicht?
    »Herz zwei. Weißt du, was das bedeutet? Vielleicht ist heute Abend der Mann deiner Träume hier.« Welche Wirkung Rob auch immer damit erzielen mochte, aus meinem Mund klang es viel weniger charmant. »Aber jedenfalls danke fürs Mitmachen und noch einen schönen Abend.« Ich nickte den am Tisch Sitzenden zu. »Das gilt für euch alle.«
    Ich bekam etwas Applaus, Choc klatschte so heftig, als schlage er immer wieder auf etwas ein, und war kurz davor, laut zu pfeifen. Ich nahm alles dankbar zur Kenntnis, bevor ich zum nächsten Tisch weiterging. Und später, als ich für diesen Abend fertig war und ein paar Drinks intus hatte, kehrte ich probeweise wieder an ihren
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