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Tote gehen nicht

Tote gehen nicht

Titel: Tote gehen nicht
Autoren: Carola Clasen
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Fenster und Dach so schlecht isoliert waren, dass sie im Winter fror und im Sommer schwitzte. Und erst recht nicht, weil es innen schief und klein und winklig war, nein, es war eine Höhle. Ihre Höhle.
    Das Forsthaus hatte schon einige gehen sehen. Böse und Gute. Zuletzt Harry Konelly, den Spieler, und Davis, den Hund.
    Harry Konellys Leiche wäre beinahe in der Urfttalsperre gelandet, wenn Oberstaatsanwalt Wesseling die verstörte Hauptkommissarin nicht im letzten Moment daran gehindert hätte. Wo Konellys Leiche sich jetzt befand, dafür interessierte man sich im Forsthaus einen Dreck.
    Anders lag der Fall bei Davis. Sein kleines Hundegrab befand sich im Vorgarten und wurde von einem Holzkreuz und einem Lavendelstrauch geziert. Und Sonja und West saßen gern und oft davor auf der alten Ofenbank, wo Sonja seit 14 Tagen nicht mehr rauchte.
    Denn sie hatte vor 14 Tagen ein neues Leben angefangen.
    Wieder einmal.
    Sonja schnitt einen Strohhalm auf Zigarettenlänge – auch das ein Tipp der BzgA – schob ihn in den Mundwinkel und inhalierte Luft. Sie war abgestanden. Sonja riss ein Fenster auf, lehnte sich hinaus und sog gierig frische, kühle, feuchte Eifelluft ein. Nach 14 Tagen Rauchfreiheit begann sich Sonjas Geruchssinn bereits ein wenig zu erholen. Sie roch Gras und Erde und Holz. Ihre Geschmacksnerven waren auf dem Weg der Rekonvaleszenz.
    Ihre Augen waren nie besser gewesen und entdeckten am Ende des Feldwegs drei Punkte. Punkte, die sich bewegten und größer wurden, also vermutlich menschliche Wesen waren. Sonja schloss das Fenster und begann, Frühstück für sich und den Kater zu machen. Sie hatte Hunger. Schlimmen Hunger. So schlimm, dass ihr das Wasser im Mund zusammenlief, als sie Katzenfutter in die kleine Emailleschüssel füllte. Sie hätte auf der Stelle zehn Brötchen vertilgen können.
    Schlecht geschlafen hatte sie. Und alles nur, weil sie nicht mehr rauchen durfte. Nicht mehr rauchen   wollte , wie sie sich auf Empfehlung der BzgA versuchte einzureden, während sie registrierte, dass ihre Hose in der Taille zu spannen begann, auch wenn sie den Bauch einzog.
    Vor ein paar Wochen hatte sie im Kölner Stadt-Anzeiger keine Bekanntschaftsanzeigen studiert, sondern gelesen, dass es sich auch im zarten Alter von 60 Jahren noch lohne, mit dem Rauchen aufzuhören, weil man außer Lungenkrebs auch unweigerlich tausend andere Krankheiten davon bekommen könne, auf die sie keinen Wert legte.
    Als hätte sie das nicht gewusst. Als hätte sie nicht deswegen ihre Rauchgewohnheiten im Griff gehabt. Aber im letzten Winter und im Februar hatte sie mit zwei schweren Erkältungen und einer lang anhaltenden Bronchitis gekämpft, aber währenddessen tapfer weiter geraucht, als gelte es, den Beweis zu liefern, dass Rauchen und Husten nichts miteinander zu tun haben.
    Dann war Ostersonntag. Alle Geschäfte hatten geschlossen, Sonja hatte keine Zigarillos im Haus. Der nächste Tag, Ostermontag, lieferte ihr eine weitere Gelegenheit zur Abstinenz.
    Sonja betrachtete das als göttliches Zeichen und begann, im Internet nach einem Rauchentwöhnungskurs zu suchen. Viele, mehr oder weniger seriöse Plattformen boten ihre nicht immer kostenfreie Hilfe an, Medikamente und Pflaster, Akupunktur und Hypnose, Kurse und Bücher. Sonja entschied sich für die BzgA, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, deren Website zwar arg trocken daherkam, dafür aber auch auf alle drastischen Warnungen und Drohungen verzichtete.
    Sie loggte sich ein und erhielt seitdem von der BzgA jeden Morgen eine Mail, in der man ihr gratulierte und erklärte, wozu das Martyrium gut sei, mit welchen Tricks man der Sucht ein Schnippchen schlagen und sich selbst austricksen könne.
    Sich abzulenken war das Einfachste. Im Kriminalkommissariat in Euskirchen stürzte sich Sonja mit Feuereifer in Schreibtischarbeit. So pedantisch und akribisch hatte sie noch kein Kollege erlebt. Man sprach hinter vorgehaltener Hand von Übersprungshandlungen. Ihr Chef, Hauptkommissar Roggenmeier, fragte mehr als einmal, ob es ihr wirklich gut gehe.
    Auch zu Hause war es mit der Ruhe vorbei. Haus- und Gartenarbeit erledigte sie wie eine Getriebene, bis sie am Abend erschöpft ins Bett sank. Noch gab es genug zu tun. Vieles war liegen geblieben. Aber sie fragte sich ernsthaft, was geschehen sollte, wenn jede Staubfluse und jedes Unkraut beseitigt sein würden? Die Razzien durch Vorratsund Kleiderschränke beendet, die Fensterscheiben klar wie Glas und die Böden blank
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