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Tote essen keinen Döner

Titel: Tote essen keinen Döner
Autoren: dtv
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anglotzen?«
    Plötzlich springt Mehmet auf, rennt auf die Straße und brüllt:
    »Leute, damit ihr Bescheid wisst, diese Umzugsmöbel haben wir nur für euch ausgeliehen. Das ist alles Lug und Trug. Die Enthüllungsstory darüber könnt ihr nächsten Monat in meiner Zeitschrift ›Wahrheit, nichts als die Wahrheit‹ lesen.«
    Dann springt er auf das weiße Sofa, das gerade zum vierten Mal mit dem Außenlift in die Wohnung befördert wird. Für seinen Mut bekommt er selbst von den Möbelpackern Beifall zu hören.
    |15| In dem Moment taucht Nermin mit einem Tablett Teegläser aus dem Badezimmer auf und hält mir das übel riechende Zeug stolz vor die Nase.
    »Kind, was ist das denn für ein Tee? Willst du mich vergiften?«
    »Hab keine Angst. Das ist was ganz Gesundes. Das ist Brennnessel- und grüner Tee, gemischt mit einer Prise Schnittlauch und Ingwer.«
    »Muss jetzt auch noch der Tee zu deiner Haarfarbe passen?«, stöhne ich.
    »Dieser Tee ist super! Ganz Deutschland trinkt das zurzeit.«
    »Nermin, das glaubt dir aber keiner«, mischt sich Mehmet ein. »Du musst in meiner Zeitschrift eine ganzseitige Farbanzeige dafür schalten. Und das ein paar Monate lang. Anders wirst du das Volk hier nicht davon überzeugen können.«
    Wütend schnappt sich Nermin das Tablett und geht wieder zurück.
    »Nicht wegkippen«, ruft Eminanim, »wenn die Deutschen so was mögen, dann verfüttern wir es doch einfach an unsere netten Möbelpacker.«
    »Genau, die Jungs sind so müde, die merken gar nicht, was das für ein Tee ist«, sage ich.
    »Und was ist, wenn alle Männer hier vor unseren Augen abkratzen?«, fragt Mehmet.
    »Das nennt man halt Berufsrisiko.«
    »Wie ihr wollt. Dann trinke ich eben meinen Tee alleine«, zischt Nermin eingeschnappt.
    »Wenn du schlau bist, dann gibst du vorher dein Testament bei mir als ganzseitige Anzeige auf. In dem Fall bestehe |16| ich aber auf Barzahlung im Voraus«, schlägt ihr Bruder vor.
    Die Tür geht erneut auf und mein Kumpel Abdullah-Ibrahim tritt wieder ins Zimmer:
    »Hallo Fäns, ich hatte gerade eine Eingebung. Mehmet, ich habe wieder ein wundervolles Gedicht für deine Zeitung verfasst. Absolut genial!«
    »Abdullah-Ibrahim, muss das denn unbedingt jetzt sein, wir haben noch so viel zu tun«, flehe ich ihn an.
    »Osman, mein neues Gedicht beschreibt aber deine grandiose Karriere! Von deiner ruhmreichen Auswanderung aus unserem wunderschönen Dorf in Anatolien bis hin zu dem Einzug in diese Prachtvilla, die ich leider räumen musste. Setzt euch alle hin, so was Schönes habt ihr noch nie gehört!«
    »Leute, setzt euch doch endlich hin«, rufe ich, »wann schreibt schon mal jemand ein Gedicht über mich!«
    »Danke, Osman, du Stolz unseres Heimatdorfes! Mein Künstlerherz weiß dein Interesse zu schätzen. Also, hört zu:
    Beim Morgengrauen machte er sich auf den Weg,
    Die Wurzeln in der Hand

«
    »Stopp mal, stopp mal«, ruft Eminanim, »ich war ja dabei, Osman hatte nur einen Koffer in der Hand und keine Möhren.«
    »Aber Eminanim, das ist doch nur eine Metapher. Das nennt man künstlerische Freiheit. Wir Dichter dürfen das. Mit Wurzeln meine ich, dass er nur seine Vergangenheit dabeihatte und sonst gar nichts. Ich fang noch mal von vorne an. Also, hört doch mal zu:
    Beim Morgengrauen machte er sich auf den Weg,
    |17|
Die Wurzeln in der Hand   …
    Seine Berge, seine Felder, sein Weib, sein Leid,
    Winkten ihm hinterher, ohne einen Funken Neid

«
    »Abdullah, das stimmt nun schon wieder nicht! Osman hat kein einziges Stück Land gehabt«, protestiert meine Frau erneut.
    »Das ist Tatsachenfälschung, Onkel Abdullah, das geht nicht. So darf ich dieses Gedicht nicht in meiner Zeitung veröffentlichen«, meckert auch Mehmet.
    »Du Banause«, rufe ich. »Du hast doch gehört, das nennt man künstliche Freiheit. Und jetzt seid doch endlich mal alle ruhig. Abdullah-Ibrahim, mein lieber Freund, du Stern meines Dorfes, lies weiter, was du über mich so Schönes geschrieben hast.«
    Abdullah steht erneut auf, macht eine große Geste, so wie jeder bedeutende Schriftsteller, der kurz vorher den Literatur-Nobelpreis gewonnen hat, und fährt fort:
    »
Der Zug fuhr immer weiter, immer weg

«
    »Abdullah-Ibrahim, ich will dir in deine künstliche Freiheit ja nicht reinreden, aber in Wirklichkeit bin ich mit dem Ford-Transit von meinem Arbeitskollegen Hasan hierhergekommen.«
    »Das ist nicht so wichtig, Osman, das weiß doch kein Schwein mehr. Aber wenn du willst, kann ich es
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