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Tote erinnern sich (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)

Tote erinnern sich (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)

Titel: Tote erinnern sich (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
Autoren: Robert E. Howard
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Meve MacDonnal?«
    Es war, als hätten meine Worte ihn so plötzlich nüchtern gemacht wie ein eiskalter Wasserguss ins Gesicht. Im Licht der Sterne sah ich sein Gesicht weiß schimmern, und die Angst verzerrte seine Züge. Er versuchte sich mit unsicherer Hand zu bekreuzigen.
    »Meve MacDonnal? Sind Sie wahnsinnig? Was haben Sie mit ihr im Sinn?«
    »Sag es mir!«, kreischte ich förmlich und schüttelte ihn heftig. »Wo ist Meve MacDonnal?«
    »Dort!«, keuchte er und wies mit zitternder Hand in die Nacht, wo etwas schwach schimmernd vor den Schatten Kontur annahm. »Im Namen aller Heiligen, lassen Sie mich los, ob Sie nun ein Verrückter oder der Teufel selbst sind, und lassen Sie einen ehrlichen Mann in Frieden! Dort – dort finden Sie Meve MacDonnal – wo sie sie ins Grab gelegt haben, vor dreihundert Jahren!«
    Ich stieß ihn mit einem wilden Aufschrei beiseite, und als ich über die von Unkraut überwucherte Ebene weiterhetzte, hörte ich, wie er mit langen Schritten entfloh. Halb blind vor Panik erreichte ich das flache Gebilde, auf das der Mann gezeigt hatte. Und während meine Füße halb im Unkraut versanken, wurde mir entsetzt bewusst, dass ich mich auf dem alten Friedhof auf der Inselseite von Grimmins Landzunge befand, in den ich am Abend zuvor Meve MacDonnal hatte verschwinden sehen. Ich stand dicht vor der Tür des größten Grabmals und beugte mich, von einer gespenstischen Vorahnung getrieben, näher heran, versuchte die tief eingemeißelte Inschrift zu entziffern. Und ich schaffte es, teils im schwachen Licht der Sterne, teils mit tastenden Fingern, die Worte und Zeichen in halb vergessenem Gälisch von vor drei Jahrhunderten auszumachen: »Meve MacDonnal – 1565–1640.«
    Mit einem entsetzten Schrei fuhr ich zurück, riss das Kruzifix, das sie mir gegeben hatte, aus der Tasche und schickte mich an, es in die Finsternis hineinzuschleudern – aber es war, als ob eine unsichtbare Hand mein Gelenk packte. Wahnsinn und Verrücktheit – aber ich konnte nicht zweifeln: Meve MacDonnal war aus dem Grab zu mir gekommen, in dem sie dreihundert Jahre geruht hatte. War gekommen, um mir die uralte Reliquie zu geben, die ihr priesterlicher Verwandter ihr vor so langer Zeit anvertraut hatte. Die Erinnerung an ihre Worte kehrte zu mir zurück, und die Erinnerung an Ortali und den Grauen Mann. Von einem geringeren Schrecken wandte ich mich einem größeren zu und rannte schnell in Richtung Landzunge, die sich meerwärts schwach vor den Sternen abzeichnete.
    Als ich den Hügelrücken überquerte, sah ich im Sternenlicht den Cairn, sah die Gestalt, die sich, einem Gnom gleich, daran abmühte. Ortali hatte mit seiner mir vertrauten, fast übermenschlichen Energie einen großen Teil der Steinbrocken bereits entfernt, und als ich mich ihm vor entsetzter Vorahnung zitternd näherte, sah ich, wie er die letzte Schicht wegriss, hörte seinen wilden Triumphschrei, der mich ein paar Meter hinter ihm, von der Anhöhe hinabblickend, erstarren ließ. Eine unheilige Strahlung stieg aus dem Cairn auf, und ich sah, wie plötzlich im Norden in schrecklicher Schönheit das Nordlicht aufflammte und das Sternenlicht verblassen ließ. Rings um den Cairn pulsierte ein gespenstisches Licht, verwandelte die rauen Steine in kaltes schimmerndes Silber, und in diesem Schein sah ich, wie Ortali achtlos seinen Pickel beiseitewarf und sich triumphierend über die Öffnung beugte, die er geschaffen hatte – und ich sah dort den Kopf mit seinem Helm, der auf der Bank aus Steinen ruhte, dort, wo ich, Red Cumal, ihn vor so langer Zeit hingelegt hatte. Ich sah den unmenschlichen Schrecken und die Schönheit jenes grässlichen Gesichts, in dem es weder menschliche Schwäche noch Mitleid noch Barmherzigkeit gab. Ich sah das Glitzern des einen Auges, das die Seele gefrieren ließ, das Auge, das weit offen im schrecklichen Anschein des Lebens starrte. Und überall an der mächtigen, in ihren Kettenpanzer gehüllten Gestalt schimmerten und blitzten kalte Pfeile und leuchtete eisiges Licht wie das Nordlicht, das am zitternden Himmel flammte. Aye, der Graue Mann lag so da, wie ich ihn vor mehr als neunhundert Jahren verlassen hatte, lag da, ohne eine Spur von Rost oder Fäulnis oder Verwesung.
    Und als Ortali sich jetzt vorbeugte, um seinen Fund zu untersuchen, entrang sich meinen Lippen ein keuchender Aufschrei – denn der Stechpalmenzweig, den er »nordischem Aberglauben« zum Trotz an seinem Rockaufschlag trug, glitt heraus, und in dem
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