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Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Titel: Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dario Castagno
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zurück mit dreiundvierzig Flaschen Wein und fünf Flaschen Olivenöl. Ich kugelte mir beim Tragen meines Kabinengepäckes voll geschmuggeltem Brunello beinahe den Arm aus. Dario musste inzwischen klar geworden sein, dass er uns tatsächlich überzeugt hatte.
    Als wir im Juli 1997 mit mehreren Freunden anlässlich des Palio wiederkehrten, war seine Zurückhaltung ganz verschwunden. Er hatte eine Reihe Fensterplätze am Campoplatz organisiert – wir waren also für das Rennen ausgezeichnet platziert. Dario selbst war furchtbar aufgeregt. Er gehört zur contrada der Raupe, und die Raupe nahm an diesem Rennen teil. Ständig trug er das contrada -Halstuch, und wir alle trugen es aus Solidarität ebenfalls. Wir versuchten sogar – nicht einfach, für Amerikaner – es ohne Ironie umzubinden.
    Dario kommentierte für uns den ganzen prachtvollen mittelalterlichen Umzug vor dem Rennen. Als dann die Reiter aus dem Rathaus kamen und einen ohrenbetäubenden Applaus erhielten, sagte Dario zu uns: »Nach dem Rennen begleite ich euch zur Kirche der siegreichen contrada, damit ihr bei der Feier dabei sein könnt. Sollte jedoch die Raupe gewinnen, muss ich euch sofort allein lassen.« Ich glaube nicht, dass er sich besonders wohl gefühlt hätte, wenn er das einer anderen Gruppe von Kunden hätte sagen müssen! Wir dagegen wussten, wie wichtig die ganze Sache für ihn war. Abgesehen davon, fühlten auch wir uns bereits sehr sienesisch.
    Die zwei Minuten, die das Rennen dauerte, waren wahrscheinlich die aufregendsten in meinem ganzen Leben. Ein paar Augenblicke lang hatte Gott Schluckauf, und das Gesetz der Schwerkraft war aufgehoben. Die Geschwindigkeit, die Gewalt, der Lärm und die ganze Pracht waren überwältigend – und noch überwältigender war das Zusammengehörigkeitsgefühl. Der Geist der Polis herrschte auf dem Campo, und die Polis war im Spiel. Dario hat Recht: der Palio ist Siena. Die Raupe gewann nicht, sondern die Giraffe. Dario erklärte, die Giraffe habe früher als die Erzfeindin der Raupe gegolten, jetzt aber gebe es zwischen den beiden ein Waffenstillstandsabkommen. Seinem Gesicht nach zu urteilen, schloss ich, dass dieses Abkommen nicht viel wert war.
    Bei unserem vierten Besuch buchten wir Dario wieder. Weil er uns die schönsten Sehenswürdigkeiten des Chianti-Gebietes schon mehrmals gezeigt hatte, schlug er dieses Mal etwas Neues vor: eine Wanderung über Land. Sein Hund rannte voraus – die Atmosphäre war wunderbar ungezwungen. Auf der Wanderung stießen wir auf mehrere verlassene Bauernhäuser. Wir besichtigten sie näher, ganz wie es Dario auf diesen Seiten mit so liebevollem Respekt beschreibt. Bis ich diese Kapitel gelesen hatte, wusste ich nicht, wie viel ihm diese alten Bauten bedeuten, und jetzt fühle ich mich umso geehrter, dass er sie uns gezeigt hat.
    Als wir das letzte Mal zurückkamen – wieder mit Freunden, im September 2000 zum »Palio Straordinario« (der dritte außerordentliche Palio zu Ehren des heiligen Jahres) -, war vieles wunderbar vertraut. Die grünen Chianti-Hügel, das schneeweiße Kirchenschiff von Sant’Antimo, die selbstverständliche Eleganz von Montalcino, die in voller Lautstärke von tausenden Stimmen gleichzeitig gesungenen, in den Ohren wiederhallenden contrada -Hymnen. Und auch Dario selbst war uns vertraut. Er und Cristina luden unsere ganze Gruppe zum Abendessen zu sich nach Hause ein. Wir prosteten einander zu. Korken lagen auf dem Tisch herum, und draußen regnete es in Strömen, ohne dass sich jemand darum gekümmert hätte. Einen Tag später erzählte Dario mir von seinen Plänen mit diesem Buch und fragte mich, ob ich ihm dabei helfen würde. Ich sagte Ja, ohne Zurückhaltung oder Vorbehalt.

Ausklang – La Macia
     
    Ich war früh aufgestanden, weil der Besitzer der Ölmühle sich ärgert, wenn seine Kunden zu spät zum Pressen erscheinen. Ich hatte keinerlei Absicht, ihn aufzuregen, denn es waren meine eigenen Oliven, die er heute zu kostbarem Extra-Vergine-Olivenöl verarbeiten sollte. Ich setzte mich in den Bus, der schon mit der wertvollen Last beladen war, und fuhr direkt zur Ölmühle.
    Ich benutzte eine kurvenreiche Abkürzung durch Wälder und Weinberge, dann über eine kleine Brücke, an einer alten Kornmühle vorbei, bis ich wieder auf die Hauptstraße gelangte. Kaum war ich über die kleine Brücke gefahren, sah ich jedoch etwas, was ich bisher noch nie entdeckt hatte, obwohl ich diese Strecke schon unzählige Male gefahren bin. Direkt vor mir,

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